Die Macht der Plattformen

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Dass Plattformen in unserer Welt Macht haben und mitbeeinflussen wie gesamtgesellschaftliches Zusammenleben im Sinne von Kommunikation und Austausch organisiert ist, ist unbestritten. „Zu viel Macht“, hört man inzwischen von vielen und immer mehr Seiten. Doch welche Art von Macht ist überhaupt gemeint? Und was fangen wir mit diesem Wissen an?

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Das Thema Plattformen ist omnipräsent und dennoch gerade auf einer systemisch-strukturellen Ebenen schwer zu fassen. Was wird als gegeben akzeptiert und wie viel Einflussnahme durch BigTech ist in Ordnung oder sogar nützlich, weil damit bahnbrechende Innovationen vorangetrieben werden, wie marktliberale Befürworter*innen argumentieren? (Dabei wird gerne vergessen, wie ausschlaggebend staatlich finanzierte Grundlagenforschung für Innovationen und neue Technologien ist; vgl. dazu: Federally Supported Innovations) Wieviel Verantwortung und Einfluss sollten die Nutzer*innen haben oder vielmehr zurückbekommen?

Michale Seemann argumentiert in seinem Buch Die Macht der Plattformen, dass Plattformen eine sehr spezifische Macht mit sehr eigenen Mechanismen und Logiken ausüben und alle anderen Erscheinungsformen ihrer Macht — sei es in Form von wirtschaftlicher oder allgemeiner Marktmacht, Datenmacht oder gar politischer Macht — nur Effekte dieser Plattformmacht seien. Diese neue Form der Macht integriert sich heute konkret in demokratische Prozesse, und beeinflussen gesellschaftliches Miteinander.

Plattform Souveränität

Wie beispielsweise Benjamin Bratton in seinem Buch The Stack: On Software and Sovereignty argumentiert, geht mit der Macht der Plattformen bzw. mit der technologischen Infrastruktur auf der diese basieren eine neue Art der Souveränität und damit eine neue “governing architecture” einher. Bereits im Design der Plattformen ist angelegt, was geht und was nicht, wer (nicht) sprechen darf und welche Themen „trenden“ oder „ge-shadow-banned“ werden. Die Unternehmen bestimmen dynamisch, immer wieder aufs Neue wo die Grenzen des machbaren verlaufen und welche Optionen den User*innen und Entwickler*innen zur Verfügung stehen.

Plattformen treten damit oft in eine Position, die vormals demokratischen Institutionen vorbehalten war. Sie unterliegen anders als klassische Institutionen aber eben keiner demokratischen Kontrolle, sondern vielmehr den Logiken des Finanzmarktkapitalismus: Algorithmen die Klicks belohnen, Empörung anfeuern und im Sinne der Aufmerksamkeits-Ökonomie hitzige, ausufernde Debatten befördern, um die Nutzer*innen so lange wie möglich vor ihren Screens zu halten erodieren demokratische Prozesse und befördern Polarisierung in der Gesellschaft.

Nicht nur der sehr medienwirksam geführte Diskurs um den Ausschluss von Donald Trump von der Plattform Twitter zeigt die Brisanz des Themas prototypisch auf, auch das Ablehnen von Verantwortung für publizierte Inhalte seitens der Plattformen macht den Umfang und Komplexität des Themas deutlich.

Bei Twitter wie auch bei Robinhood handelt es sich schließlich um ‚Plattformen‘, deren Erfolgsmodell auf einer Kombination von Verantwortungsimmunität und Interventionsanspruch beruht. Auf der einen Seite haben Plattformen mit dem, was auf ihnen geschieht, angeblich nichts zu tun, insofern sie lediglich einen Raum für freie Aktivitäten zur Verfügung stellen: Was auf dem Aktienmarkt gekauft und verkauft wird und wer sich auf Twitter wie menschenverachtend äußert, liegt immer nur in der Verantwortung der einzelnen Handelnden, nie in der Verantwortung der Plattform. Auf der anderen Seite haben Plattformen in (für sie) kritischen Momenten doch die Macht einzugreifen und von der bloßen Plattform zur Markt- oder Diskursteilnehmerin zu werden.

Einleitung: Souveränität der Plattform. Eine Debatte mit Joseph Vogl
Jonas Heller, Marina Martinez Mateo

Infrastrukturelle Hegemonie — Einschub Eigentum und Zugang

Ein weiterer — für mich persönlich sehr spannender — Aspekt der Macht, den Michael Seemann in seinem Buch einführt, ist die Verschiebung des Eigentumsparadigmas, das seiner Meinung nach mit der Plattformisierung unserer Ökonomie einhergeht.

Denkt man den Kapitalismus als Plattform des Austauschs, ist eines der zentralen Prinzipien auf dem alle ökonomischen Logiken aufbauen, die Idee von Eigentum. Eigentum an sich ist nichts „Natürliches“, sondern vielmehr ein ökonomisch-rechtlicher Standard, der ursprünglich zurück geht auf die Okkupation von Land, heute allerdings nicht mehr aktiv reflektiert wird und als gesetztes Normal gilt und im Grundgesetz verankert ist.

Als wesentliche Eigentumsrechte gelten Verfügungsrechte über Güter, sowie Produktionsmittel und Nutzungsrechte an Gütern sowie über die Erträge ökonomischer Leistungen. Eigentum als abstrakter Rechtstitel, erlaubt es ein Gut aus dem eigenen Besitz zu geben ohne die Verfügungsgewalt darüber zu verlieren, wie beispielsweise im Falle von Vermietungen. Eigentum an Produktionsmitteln gilt damit bis heute als Grundlage für marktwirtschaftliche Wirtschaftssysteme, und genau diese Gegebenheit stellt Seemann hinsichtlich Plattformen in Frage.

Das Eigentumsparadigma ist für ihn ein wichtiger, aber nicht mehr der zentrale Kern des ökonomischen Modells von Dienstleistungsplattformen. Diese sind nicht darauf angewiesen, dass Eigentumsrechte (nicht) garantiert werden. Spotify oder Facebook besitzen keine Rechte an den Daten oder der Musik die sie vertreiben. Uber besitzt keine Autos, die es vermietet — trotzdem ist es die größte Taxiflotte der Welt. Die Plattformen haben vielmehr eine direkte Verfügungsgewalt, weil Nutzer*innen, sowie beteiligte (freie) Dienstleiser*innen von der Verbindungsfunktion — also der Reglementierung von Zugang — der Plattformen abhängig sind.

Allein auf Grund der Größe entsteht eine Art infrastrukturelle Hegemonie, die die jeweiligen Plattformen als unumgängliche Option erscheinen lässt. Entscheidet man sich als Nutzer*in oder Dienstleister*in aktiv gegen die Nutzung, entscheiden man sich mitunter aktiv zum Ausstieg aus gesellschaftlichem Diskurs und Teilhabe.

Die Normalisierung der Macht

Diese Formen der Einflussnahme und Machtausübung spiegeln sich sowohl im Selbstverständnis der Unternehmen, als auch in deren ökonomischer Bedeutung wieder. Gesetzgeber*innen arbeiten sich bsher nur wenig erfolgreich an den supranationalen Unternehmen ab.

Nachdem es bereits mehrere Anti-Trust Verfahren in der EU mitunter gegen Google gegeben hat, ziehen nun auch die USA nach: Die Abgeordneten des US-Amerikanischen Repräsentantenhauses haben Anfang Jun eine weitreichende Kartellgesetzgebung vorgestellt, die darauf abzielt, die Macht von Big Tech einzuschränken und die Konsolidierung von Unternehmen zu verhindern. Sollte der Gesetzgebungsvorschlag verabschiedet werden, wären die Gesetze die ehrgeizigste Aktualisierung der Monopolgesetze in den USA seit Jahrzehnten.

Die Reaktionen auf die Gesetzesintiative der unterschiedlichen Big Player zeigt die Hybris aber auch die Einflusssphären der Firmen auf:

Apple’s chief executive, Tim Cook, called Speaker Nancy Pelosi and other members of Congress to deliver a warning.

The antitrust bills were rushed, he said. They would crimp innovation. And they would hurt consumers by disrupting the services that power Apple’s lucrative iPhone, Mr. Cook cautioned at various points, according to five people with knowledge of the conversations.

The calls by Mr. Cook are part of a forceful and wide-ranging pushback by the tech industry since the proposals were announced this month. Executives, lobbyists, and more than a dozen think tanks and advocacy groups paid by tech companies have swarmed Capitol offices, called and emailed lawmakers and their staff members, and written letters arguing there will be dire consequences for the industry and the country if the ideas become law.

By Cecilia KangDavid McCabe and Kenneth P. Vogel
Tech Giants, Fearful of Proposals to Curb Them, Blitz Washington With Lobbying. New York Times, June 22, 2021

Die insgesamt fünf Gesetzesentwürfe zielen direkt auf die Einflusssphären von Amazon, Apple, Facebook und Google: Online-Handel, Informationen und Unterhaltung und rufen damit Drohgebärden der Firmen hervor, die Eindruck hinterlassen. Die Vorschläge würden es einfacher machen, Unternehmen zu zerschlagen, die ihre Dominanz in einem Bereich nutzen, um sich in einem anderen Bereich festzusetzen, würden neue Hürden für die Übernahme von aufstrebenden Konkurrenten schaffen und würden die Regulierungsbehörden mit mehr Mitteln zur Überwachung von Unternehmen ausstatten.

Es kollidieren gesamtgesellschaftliche Interessen, wie Zugang zu verlässlichen Informationen mit den Profitmaximerungszielen von aktiengehandelten Großmächten. Und doch scheint der Ausgang offen. Staatliche Akteur*innen versuchen global agierende Firmen zu regulieren, mit Mitteln, die den neuen Ausprägungen der digitalen Ökonomie womöglich garnicht gewachsen sind. An der Bevölkerung scheinen diese Entwicklungen dabei mehr oder weniger unberührt vorüberzuziehen.

Eine wichtige — wenn nicht die wichtigste — Erkenntnis bei der Reflektion und der Aufarbeitung der Inhalte: Es fehlt oft an Modellen und Vereinfachungen, die es überhaupt ermöglichen die vielen ineinandergreifenden Parameter auf einer gesamtgesellschaftlichen Basis zu diskutieren. Denk- und Kartierungsprozess, die es auch nicht Expert*innen erlaubt zu verstehen, welche strukturellen und systemischen Parameter eigentlich verhandelt werden und wie diese zusammenhängen, sind meiner Meinung nach ein essentielles Werkzeug, um die ganz zu Anfang beschriebenen Fragen gesamtgesellschaftlich zu verhandeln.

Und genau das ist der nächste notwendige Schritt: Eine gesamtgesellschaftliche Neuverhandlung der Themen Beteiligung, Macht und Einflussnahme von Plattformen zwischen Staaten, Gesellschaft und Unternehmen in globalem Maßstab.

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