20/03/2023

2.02 Versuch eines Graphischen Verfahrens zur Bewertung von Kleinwohnungsgrundrissen

Aus welchem Impetus heraus Klein beginnt seine Entwurfsprozesse zu methodisieren, habe ich in den vorangegangenen Kapiteln umrissen. Es folgt das Aufschlüsseln „der Methode“ selbst, die mit der zeichnerischen Grundrissentwicklung ihren Lauf nahm und von Klein nach und nach systematisiert, ergänzt und ausgebaut wurde. Klein behielt den iterativen Prozess aus der Grundrissentwicklung bei: Das Graphisches Verfahren wird Teil eines weitreichenden Verfahrens, das in der hier behandelten Ausarbeitungsstufe 17 zu durchlaufenden Schritte beinhaltet. Von grundlegenden Fragen, die sich auf das Programm des Wohnprojekts beziehen, über die Bestimmung des Programms hin zu numerisch-tabellarischen Bewertungsschemata und der zeichnerischen Analyse des Graphischen Verfahrens.

Die Entwicklung der Methode werde ich mit den folgenden vier dazu publizierten Artikeln Kleins nachzeichnen. Diese vier Publikationen finden sich ebenso im Anhang als verkleinerte Originale wieder:

  1. Versuch eines graphischen Verfahrens zur Bewertung von Kleinwohnungsgrundrissen, in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau 11, Nr. 7 (1927), S 296–298. AK-1927_WMB-11-7
  2. Neues Verfahren zur Untersuchung von Kleinwohnungsgrundrissen, in: Städtebau 23, Nr.1 (1928), S 16–21. AK-1928_Städtebau-23-1
  3. Untersuchungen zur rationellen Gestaltung von Kleinwohnungsgrundrissen & Grundrissstudien nach dem Programm der Reichsforschungsgesellschaft, in: Die Baugilde 9, Nr. 22 (1927), S 1349–1368 AK-1927_Die Baugilde-9-22
  4. Grundrissbildung und Raumgestaltung von Kleinwohnungen und neue Auswertungsmethoden, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 48, Nr. 34/35 (1928), 541–549 AK-1928_ZBB-48-34 undS 561–568 AK-1928_ZBB-48-35

Klein veröffentlichte zur Methode natürlich nicht nur diese vier Artikel, sondern eine ganze Reihe von Aufsätzen. Die ausgewählten Artikel bilden die Entwicklung jedoch am umfänglichsten ab. Alle anderen Publikationen von Alexander Klein und anderen Autor*innen zur und über die Methode finden sich im Quellenverzeichnis. Soweit es mir möglich war, die Unterlagen zu digitalisieren, stehen diese Quellen auch digital zur Verfügung.

15/03/2023

2.01 Entwicklung eines Neuen Standards

Die Entwicklung der Methode beginnt nicht erst mit dem ersten Artikel Kleins unter dem Titel Versuch eines graphischen Verfahrens zur Bewertung von Kleinwohnungsgrundrissen, der die Schritte der Methode bereits ausformuliert, sondern schon lange davor. Wie bereits hervorgehoben, ordnet sich Klein keiner der damals prägenden Architektengruppen zu, sondern arbeitet weitgehend eigenständig an Ansätzen und Ideen, die sich aus unterschiedlichen Quellen speisen – seine Arbeit an neun Grundrisslösungen lässt sich bis auf die ersten Projekte in Russland nachvollziehen. Zuerst möchte ich hier also einen Einblick in Kleins Denken und Arbeiten vor der eigentlichen Entstehung der Methode geben.

Inhalte

Vorschritte zur Methode

Die Suche nach der Qualität im Grundriss ist ein treibendes Motiv für Klein, das ich im vorangegangenen Kapitel erwähnt habe. Er entzog sich einer klaren politischen Position und lotete jeweils unter den gegebenen strukturellen Bedingungen die bestmögliche Grundrisskonfiguration aus – nicht ohne dabei auch Kritik an den strukturellen Rahmenbedingungen seiner Zeit zu üben. Diese pragmatische, realpolitische Herangehensweise zieht sich als roter Faden durch seine Arbeit. Selbst 1932, bei seinem letzten umgesetzten Projekt in Berlin, wird deutlich: Klein hat sich unter den sich verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen entwickelt.

Das Wohnprojekt am Körnerpark hatte Klein zuerst anhand von Grundrissstudien erarbeitet, die durch eine Laubengangerschließung auf eine geringe Baukörpertiefe abzielten. Das Grundstück zwang ihn jedoch zur Blockrandbebauung mit mehrspänniger Erschließung, was zu einer Gebäudetiefe von 11 Metern und damit zu einer klassischen Grundrisstypologie mit zentralem Flur führte. Er identifizierte jedoch einen anderen Punkt, den es zu verbessern galt: Die Heizung. Eine Zentralheizung wurde von der Hausverwaltung abgelehnt, eine Ofenheizung hätte zu viel Platz in den kleinen Wohnungen eingenommen, daher entschied sich Klein für den Einbau einer Etagenheizung in jeder Wohnung. Ein Komfort, der weit über dem üblichen Standard lag

Der Forschende Praktiker – Forschen, Planen, Bauen, Kommunizieren

Das Beispiel macht auch Kleins grundsätzliche Arbeitsweise deutlich. Die Entwicklung der Methode erfolgte aus der Verankerung in der eigenen Zeichen- und Entwurfspraxis. Klein erarbeitete Wettbewerbsbeiträge und untersuchte gleichzeitig zeichnerische Fragestellungen im Entwurf für Publikationen. So näherte er sich schrittweise über das Zeichnen als Methode inhaltlich den Aspekten an, die später als Grundlage für die Bewertungsparameter Eingang in die vergleichende Methode fanden.

Dass diese Verknüpfung, bzw. der Ursprung in der theoretischen Auseinandersetzung nicht von allen Zeitgenossen goutiert wurde, lassen die Quellen aber ebenso erkennen. In einem Kommentar zur GAGFAH-Demonstrationssiedlung am Fischtalgrund in Berlin Zehlendorf – eine Art Gegenveranstaltung zur Weißenhofsiedlung in Stuttgart – bei der Klein ein Projekt umsetzen konnte, heißt es: „Nun dürften auch endlich die Kritiker zum Schweigen gebracht sein, die Alexander Klein bislang noch den Vorwurf machen, er sei nur Theoretiker und in der Praxis sähe alles ganz anders aus.“ Über die 20 Jahre Berufspraxis, die Klein mitunter bei Großprojekten in Russland sammelte, war wenig bekannt.

Parallel zu seiner aktiven zeichnerisch-planerischen Arbeit und dem Bauen stellte die Publikation – und damit Kommunikation – seiner Erkenntnisse einen zentralen Teil seines Schaffens heraus. Während seiner Zeit in Deutschland publizierte Klein die meisten Beiträge und Fachartikel. Die Einbindung in Wasmuths Monatshefte für Baukunst (WMB) ab 1925 und der Sprachraum, der ihm damit eröffnet wurde, trugen erheblich zur Entwicklung und dem Bekanntwerden der Methode bei. Allein in WMB veröffentlichte Klein rund 30 Artikel. Er publizierte seine Erkenntnisse darüber hinaus in Bauwelt, Die Baugilde, Die Wohnung, sowie in internationalen Fachmagazinen.

Das Graphische Verfahren als allgemeingültiger Ansatz

Bereits vor dem Niederschreiben der eigentlichen Methode finden sich in Kleins Texten Kriterienlisten, die die Hauptmerkmale seiner Entwürfe generalisieren und/oder die Hauptaspekte seiner Gedankengänge fassen, auflisten und damit auf ein Methodisieren hindeuten. Die Listen finden sich in mehreren Publikationen und begleiten auch den Artikel Tagesfragen der Berliner Wohnungswirtschaft. Er formulierte Forderungen „des modernen Kleinwohnungswesens […], wie sie wohl jeder Architekt, dessen Hände nicht durch ‚Rentabilitäts-Erwägungen‘ gebunden sind, durchführen möchte.“ – also mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit.

Klein wählte die Bezeichnung der Graphischen Methode bewusst. Es ging ihm auch um die Abbildbarkeit des Ergebnisses und darum, die Zeichnung als eine allgemeingültige Sprache zu etablieren, die gleichzeitig Ausdrucks- und Bewertungsform ist: frei von Deutungen und Missverständnissen. Architekten sollten mithilfe der Methode zeichnerisch die geometrische Analyse mit der räumlichen Qualitätsbeurteilung zusammenführen. Die Graphische Statik, eine Methode aus der Bauingenieurswissenschaft, die sich Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte, dürfte Klein aus dem baupraktischen Kontext ebenso bekannt gewesen sein. Auf dem zeichnerischen Weg mittels Lineal, Zirkel und Maßstab werden statische Probleme „konstruiert“ und gelöst, ohne dabei auf algebraische Gleichungssysteme zurückzugreifen.

Auch andere wissenschaftliche Zugänge, die zu dieser Zeit Ansätze der zeichnerischen Übersetzung einführten. Die Parallele zur Graphischen Statik ist auch deswegen besonders interessant, weil die Methode derselben Logik folgt wie Klein in seiner Arbeit: Die Zeichnung ist nicht nur Darstellung, sondern operatives Mittel der Lösungsfindung.

Der Aspekt der Verwissenschaftlichung der Darstellung, der bereits im vorigen Kapitel im Rahmen der allgemeinen Betrachtung angeschnitten wurde, lässt sich auch bei Klein ablesen: Tabellen und Vergleichsmaße ergänzen die Methode schon im ersten Entwicklungsschritt und werden sukzessive ausgebaut.

(Wettbewerbs-)Praxis als Entwicklungschance

Klaus-Ulrich Stöhner untersucht Klein in seiner Dissertation durch die Entwurfspraxis und die Entwicklungsstufen der Grundrisstypen. Die Arbeit strukturiert sich entlang der Projekte Kleins und zeigt damit auf, wie wichtig die (Wettbewerbs-)Praxis für Klein war, da er elementare Ansätze bereits hier umsetzten konnte. Zwischen 1922–1927 beteiligte sich Klein an insgesamt sieben Wettbewerben in Berlin und Moskau, konnte allerdings keinen Bauauftrag erringen. Die Reziprozität zwischen Kleins Entwurfsarbeit und der theoretischen Analysearbeit erfordert einen Blick auf seine umgesetzten und nicht umgesetzten Projekte. Klein nahm an Wettbewerben teil und fertigte Studien im Rahmen eigener Projekte an, wobei den Wohnprojekten hinsichtlich der Graphischen Methode die größere Bedeutung zukommt:
1 - Wohnhäuser Tempelhofer Feld, Berlin, 1925
2 - Wohnungsbauwettbewerb organisiert vom Moskauer Sowjet, 1925
3 - Wettbewerb für einen Wohnungsbau für die Textilstiftung im Bezirk Iwanowo-Wosnessensk, Moskau, 1926
4 - Reihenhäuser in Berlin-Dahlem, 1926
5 - Entwürfe für das Eckgrundstück Ravensburgerstraße/ Brandenburgische Straße, 1925–1927 (drei Fassungen)
6 - Wettbewerb Mehrfamilienhäuser ausgeschrieben vom Halleschen Wirtschafts- und Verkehrsverband (nicht realisiert)

Christoph Lueder verweist in seiner kontextuellen Einordnung unter dem Titel Evaluator, Choreographer, Ideologue, Catalyst: The Disparate Reception Histories of Alexander Klein’s Graphical Method zur Entstehung von Kleins Methode darauf, dass die „objektiven Bewertungskriterien“ russischer Wettbewerbsverfahren einen „profunden“ Einfluss auf Kleins Betrachtungen gehabt hätten. Klein selbst führte in seinem Artikel Die Regelung der baukünstlerischen Wettbewerbe in Russland in WMB aus, warum er das russische Wettbewerbsverfahren als objektiver und daher besser einstuft als die in Deutschland bis heute gängige Wettbewerbspraxis, die er im Gegenzug als Lotterie bezeichnet. Durch die Festsetzung und Kommunikation der Bedingungen, des Programms sowie der Ergebnisse des Wettbewerbs entstünden laut Klein Transparenz und Austausch, und dadurch Nachvollziehbarkeit, die allen Beteiligten zugutekäme.

Dass das Thema Objektivität eine große Rolle für Klein spielt und eine treibende Kraft seiner Bestrebungen ist, wird aus den ersten konkreten Ausführungen zur Methode ersichtlich, worauf ich in der Folge eingehen werde. Methodisch und strukturell finden sich im Beitrag zum russischen Wettbewerbswesen noch keine konkreten Schlüsse seitens Klein, was diese Analyse spezifisch bedeuten könnten – die Kriterien der Bewertung selbst bleiben unklar.

Als weitaus wichtigeren – sogar elementaren – Schritt betrachte ich hingegen den Artikel zu den Tagesfragen der Berliner Wohnungswirtschaft (auf den Lueder nur peripher mit Verweis auf eine Grafik eingeht, die die Anwendung des Taylorarbeitsvorgangs, also eine Arbeitsablaufoptimierung in der Wohnküche, zeigt). An dieser Stelle führt Klein die Aspekte Objektivität, Transparenz, Bewertung mit ganz konkreten Kriterien der räumlichen Qualität in diametraler Spannung zur Profitmaximierung zusammen. Als Mittel der Darstellung wählt er Grundrisse, Tabellen und im Text findet sich ein Forderungskatalog. Alle verwendeten Projekte stammen ursprünglich aus Wettbewerbseinreichungen.

Tagesfragen der Berliner Wohnungswirtschaft: Gestaltung vs. Rentabilität – Kleins Blick auf die Hauszinssteuer

„Durch erhöhte Baukosten und Zinssätze, sowie durch andere Umstände sozialer und wirtschaftlicher Art sind Bauten ohne staatliche Unterstützung unmöglich geworden.“

XXXX

Inwiefern die wirtschaftlichen Dynamiken bzw. staatlich-regulatives Eingreifen eine Rolle für Kleins Arbeit spielten, zeigt der bereits mehrfach erwähnte, 1926 zum Thema Bautätigkeit mit Hauszinssteuerzuschuss publizierte Artikel Tagesfragen der Wohnungswirtschaft für WMB. Klein nimmt hier Bezug auf den zweiten Aspekt der neuen Bauagenda: Das Bauen zu Zeiten der Hauszinssteuer.

Unter dem vorangeschobenen Postulat, den Mechanismus des Hauszinssteuersystems und dessen Einfluss auf die Lösung der Wohnungskrise nicht infrage zu stellen, bemüht sich Klein um einen Vergleich der durch die Rahmenbedingungen entstehenden Wohnungspreise und Grundrissgestaltung. Sichtbar wird sein Interesse an realpolitischen Lösungsansätzen – auch wenn er normative Kritikpunkte vorträgt

Im Artikel arbeitet er die Vorgaben der Bauordnung heraus, die mit dem Gewähren eines Kredits für den Hausbau im Zusammenhang stehen – und damit auch unmittelbar mit der Qualität des gebauten Raums. In Berlin gewährte die Wohnungsfürsorgegesellschaft Baukredite (Hauszinssteuerhypothek) zu guten Bedingungen – zum stark ermäßigten Zinssatz von 3% mit 1% Tilgung – und band diese an folgende Anforderungen:

„Jede Wohnung muß mindestens ein Zimmer von 20 qm Grundfläche bei 3,50 m geringster Abmessung in Miethäusern und mindestens 18 qm in Kleinhäusern ebenfalls bei 3,50 m geringster Abmessung aufweisen. Im übrigen beträgt die Mindestzimmergröße 14 qm, die Mindestgröße für Küche 10 qm bei 2,30 m geringster Abmessung, für Kammern 6 qm und die Mindestbreite für Aborte 0,90 m. Die Belichtung der Aborte über Nebenträume ist nicht zulässig, der Abort muß direkt an der Außenwand liegen.“

Alexander Klein

Klein arbeitete auch deswegen den Faktor Finanzierung heraus, weil dieser (bis heute) direkten Einfluss auf die Nichtbeachtung von gestalterischen Aspekten hat. Der Entscheidungsmechanismus all derer, die noch beabsichtigten zu bauen, orientierte sich entsprechend daran, den Förderrahmen durch die Hauszinssteuerhypothek maximal auszuschöpfen. Die Planungsparameter wurden entsprechend an die staatlichen Vorgaben der Bauordnung angepasst: Gebaut wurden „viele kleine Kammern“, wie Klein schreibt, die dem Mindestmaß entsprachen. Klein untermauert die Problematik mit Grundrissauszügen und seinen eigenen Alternativen dazu.

Die baulich-strukturelle Ausgangslage in Berlin führte zu einem elementaren Kritikpunkt Kleins: Die vorherrschende Zentralflur-Konfiguration im Grundriss. Dieser Grundrisstyp zeichnet sich dadurch aus, dass vom unbelichteten Flur aus jeder Raum der Wohnung erschlossen wird – und damit auch alle funktionalen Verknüpfungen über diesen Flur verlaufen.

Der Zentralflurgrundriss in Berlin leitete sich aus der städtebaulichen Struktur der Blockrandbebauung ab, die durch die 1925 beschlossene Bauordnung stark begünstigt wurde. Auch die ausgeführten Mindestanforderungen an Wohnungen fördern diese Grundrisskonfiguration, denn der zentrale Flur ermöglichte einerseits einen tiefen Baukörper (bessere Grundstücksausnutzung und damit höhere Rentabilität) und andererseits die unabhängige Nutzung von einzelnen Zimmern (z. B. bei Untervermietung). Die Konfiguration hängt also mit vielen Faktoren zusammen – jedoch nicht mit der Intention, leistbaren Wohnraum bei maximaler Raumqualität aus Perspektive der Nutzer*innen zu ermöglichen.

Den finanziellen Optimierungsfaktoren stehen Klein zufolge Aspekte der Wohnkultur diametral gegenüber. Ein gut durchdachter Grundriss, Bequemlichkeit, gut belichtete und bemessene Zimmer, eine geräumige Treppe und Fahrstühle – Faktoren, die bestenfalls zu einer höheren Miete führen, haben keinen Einfluss auf die grundsätzlich gewährte Finanzierung, weil sie schlicht keine Rolle im Fördersystem spielen. Entsprechend legen Unternehmer keinen Wert auf die als unrentabel geltenden Gesichtspunkte der Gestaltung. Klein formuliert beinahe zynisch die Dynamik, die folgt, werde doch im seltenen Fall ein Architekt beauftragt:

„Nun stelle man sich vor, daß der Bauunternehmer, um das Unmögliche möglich zu machen, einen Architekten heranziehen will. Das ist ein Ausnahmefall, denn die Statistik der Vorkriegszeit zeigt, daß in Deutschland nur 3% der Bauten von Architekten errichtet wurden. Der Architekt wird dann seine Schulkenntnisse in Geometrie auffrischen und sich vor Augen halten, daß bei gleicher Fläche verschiedener Rechtecke der Umfang beim Quadrat am kleinsten ist. Da also im Bau der quadratische Grundriß die wirtschaftlichste Form ist, ist es wirtschaftlich, möglichst tief zu bauen, so daß der Architekt recht tiefe Zimmer bei verhältnismäßig geringer Fassadenlänge mit dem Rechenschieber in der Hand herauszeichnen muß.

Selbstredend wird es ihm selten gelingen, bei solchem Verfahren etwas wirklich Gutes zu schaffen. In den meisten Fällen aber, wo der Bauunternehmer sich den Aufwand der Heranziehung eines Architekten nicht leisten will, wird jedenfalls nicht besser gebaut.“

Alexander Klein

Was das wiederum für den gebauten Raum bedeutet, verdeutlicht er im Artikel mit Grundrissbeispielen, die die Unterschiede auf visueller Ebene schnell ersichtlich und greifbar erscheinen lassen. Kleins Artikel zielt darauf ab, herauszustellen, dass dem Staat die Kompetenz fehlt zu beurteilen, welche Wohnungen es überhaupt braucht. Er ist nicht der Einzige mit dieser Überzeugung, auch seine Zeitgenossen publizieren in Handwörterbuch des Wohnungswesens: „Es erwies sich als höchst verhängnisvoll, daß gerade damals in dem Aufschwung nach dem deutsch-französischen Krieg, als eine planmäßige Wohnungspolitik für Staat und Gemeinden von größter Wichtigkeit gewesen wäre, Staat, Gemeinden, Gesetzgebung und öffentlicher Geist diesen Aufgaben verständnislos gegenüberstanden. Es war einerseits die Zeitanschauung, andererseits wurde die Bedeutung des Wohnungswesens für die Allgemeinheit auch nicht im entferntesten erkannt.“

Klein stellte daher eine Liste an Forderungen auf, mit seiner Meinung nach elementaren Verbesserungsvorschlägen, die wie bereits erwähnt einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit haben:

  1. „ Anordnung eines wenn auch noch so kleinen Vorraums mit Kleiderablage;
  2. Anlage einer gut abgemessenen Diele, die mit Hilfe einer Schiebewand oder einer breiten Flügeltür mit dem Wohn- bezw. Eßzimmer ein Ganzes bilden kann. Es ist nicht ausgeschlossen, daß in diesem Fall von der Mindestforderung von 14qm abgesehen werden kann;
  3. Anschluß der Kammer an die Schlafzimmer oder an die Küche, damit die Wohnung durch die Kammer nicht in zwei Hälften geteilt wird; das Fenster der Kammer nicht nach der Laube gerichtet, um die Benutzung letzterer nicht zu hindern;
  4. Anordnung von Küche, Kammer und Abort so, daß keine unmittelbare Verbindung mit der Diele besteht. Sie müssen entweder in den Flur oder in einen besonderen Übergangsraum münden;
  5. Verlegung der Schlafräume mit Bad und Abort in einen Teil der Wohnung derart, daß diese Räume unter sich in Verbindung stehen, und die Diele nicht betreten zu werden braucht;
  6. Möglichkeit, in Zukunft einen Aufzug ohne großen Umbau einfügen zu können.“

Die Grundmotive, die Klein in der Graphischen Methode detaillierter ausformulieren wird, lassen sich hier bereits ablesen. Die ersten beiden Punkte beziehen sich auf das Thema Flur/Vorraum bzw. dem Eingangsbereich als ein Element, das Klein in den nächsten Schritten im Sinne der „flurlosen Wohnung“ ganz entfallen lässt bzw. dem Wohnraum zuschlägt, um so einen größeren Wohnraum zu erzeugen, der für ihn im Mittelpunkt steht. Die Punkte 3–5 beziehen sich auf die Anordnung und Gruppierung der unterschiedlichen Funktionen im Grundriss. Er zieht die Funktionen Schlafen – Waschen, sowie Wohnen – Essen zusammen, sodass die Aktivitäten jeweils ungestört voneinander stattfinden können. Klein fordert also die funktionsbezogene Flächenzuweisung, die im Abschnitt Der Raumgruppengrundriss genauer erläutert wird.

Des Weiteren geht Klein im Artikel auf beachtenswerte Beispiele von Kleinwohnungen aus dem Ausland ein. Unter den Beispielen sind Projekte aus den Niederlanden, den USA, Österreich und Frankreich, die die unterschiedlichsten Zugänge zum Thema Klein(st)wohnung aufzeigen: von kollektiv genutzten Gemeinschaftsräumen über andere Finanzierungs- und Förderstrukturen bis hin zu 1-Zimmer-Lösungen. Unter den Projekten findet sich auch ein Wettbewerbsbeitrag Kleins zu Wohnhäusern für den Moskauer Sowjet unter dem Titel bzw. Wettbewerbskennwort Vita Sana (Gesundes Leben). Das Projekt zeigt im Grundriss bereits die funktionale Trennung von Wohnen – Essen und Schlafen – Waschen, auf die Klein vorab im Artikel verweist. Das Projekt wurde nicht realisiert, aber der Entwurf wurde mit einem zweiten Preis ausgezeichnet. Der Titel lässt darauf schließen, dass Klein gesundheitlichen Aspekten im Entwurf von Wohnraum einen hohen Stellenwert zuschrieb.

Klein schließt seine Ausführungen mit der Feststellung, dass der Wohnungsbau in Berlin daran krankt, dass es auf der einen Seite hohe Mindestforderungen gibt und auf der anderen Seite die wirtschaftliche Situation nur unzureichend von der bestehenden Förderstruktur ausgeglichen werden kann. Durch die knapp bemessenen Zuschüsse ist es für Wohnungsbedürftige schwierig, sich allein oder in genossenschaftlicher Form selbst dem Bauen zu widmen. Die Privatwirtschaft baut derweil, wenn überhaupt, nur noch Wohnraum für eine wohlhabende Klasse.

Kleins Schluss daraus ist deutlich: „Wir brauchen kleinere Räume“. In der Verkleinerung sieht er den neuralgischen Punkt, um den großen Druck auf dem Wohnungsmarkt zu lindern – einerseits aus der Preisperspektive, aber auch um mehr Wohnraum mit denselben zur Verfügung stehenden Mitteln herstellen zu können. Ohne den Begriff leistbar weiter zu definieren, hebt er hervor, dass mehr als 84 von 100 Menschen aufgrund beschränkter wirtschaftlicher Mittel auf eine „bescheidene Wohnung“ angewiesen sind. Nicht nur die Zimmer will Klein verkleinern, auch die Wohnung an sich. Er führt die durchschnittliche Familiengröße an, die sich im Vergleich zur Vorkriegszeit von vormals 4,53 (1910) auf 3,21 (1926) Personen in den Berliner Haushalten reduziert hat.

Dass die Herabsetzung der Mindestanforderungen für Wohnungen (ein Faktor, der vorwiegend im einzelnen Projekt ausschlaggebend ist) allerdings nicht der einzige Schritt sein kann, um die Wohnungsfrage zu lösen, hebt er ebenso deutlich hervor. Er fordert die strukturelle Anpassung des Wohnungsbaus durch eine (staatliche) Organisation, genauer die Ausarbeitung eines umfassenden Wohnungsprogramms, in dem neue Wohntypen entwickelt werden. Diese Typen sollen die Unterschiede sozialer und wirtschaftlicher Bedingungen, Lebensweisen der Nutzerinnen, sowie die Zahl der Familienmitglieder widerspiegeln – im Grundsatz also die Bedürfnisse der Bevölkerung.

Klein argumentiert abschließend sehr klar: „Als weiterer Vorzug käme dazu, daß eine Organisation, die nicht mehr hauptsächlich nur die Verwendung der Baugelder überprüft, sondern künftig dem Unternehmer lediglich die eigentliche Bauausführung überläßt und alles andere selbst in die Hand nimmt, für diese eigene Tätigkeit nicht so formal-ängstlich zu verfahren braucht wie bisher bei Aufstellung der Normen für Dritte. Das gibt den Weg frei zu einer sparsamen Bauwirtschaft, zur Erzielung hochwertiger Wohnungen, die bei erträglichen Mieten den heutigen Bedürfnissen vollauf entsprechen.“

Die Nutzerin: Körperregime, Kernfamilie, Klassismus

Der moderne Mensch als Projektionsfläche für neue Vorstellungen von gesellschaftlichem Zusammenleben wurde thematisch bereits einige Male in unterschiedlichen Kontexten dieser Arbeit gestreift. Natürlich spielt auch in Kleins Arbeit das dahinterliegende Menschen- und Gesellschaftsbild eine Rolle. Klein vollzieht mit dem Denken aus dem Grundriss heraus einen Perspektivwechsel. Nutzerinnen und deren Bedürfnisse, wie sie sich (möglichst optimal) durch die Wohnung bewegen und diese nutzen, sind integraler, grundlegender Teil der Kleinschen Überlegungen. Die sehr spezifische Nutzerinnenzentrierung ist ein Alleinstellungsmerkmal zu dieser Zeit.

Grundsätzlich gab es Bestrebungen, im Sinne des Existenzminimums einen neuen minimalen modus vivendi herzustellen, anstatt den modus non moriendi zu verlängern. Die Überlegungen Kleins sind diesbezüglich sehr viel weiter vorangeschritten als die anderer Architekten. Er beschäftigt sich akribisch mit Hygiene, der psychischen und physischen Konstitution des Menschen, der Optimierung von Bewegungsabläufen und der (Raum-)Wahrnehmung. Diese einzelnen Themen lassen sich entsprechend in einzelnen Schritten der Graphischen Methode nachvollziehen, auf die ich im Rahmen der Entwicklung der Methode spezifisch eingehen werde.

Die Nervenschonung steht dabei im Mittelpunkt. Der angestrengte Ehemann soll sich im trauten Heim gut entspannen können und nach dem Arbeitstag nicht zusätzlich von einer ungünstigen Wohnkonfiguration angestrengt werden. Selbes gilt für die Ehefrau, für welche die tägliche Arbeit in der Küche optimiert wird. Der optimierte Wohnablauf soll sicherstellen, dass die Produktivkraft der Bewohnerinnen bestehen bleibt und dient damit auch dem Sozialstaat. Die Stadt wird als das chaotische Außen wahrgenommen, dem das geordnete Heim als Ruhepol der Kernfamilie entgegensteht. Moralische Ideale und Ansprüche gehen damit ebenso einher wie genaue Vorstellungen davon, wie eine Familie und die darin praktizierte Rollenverteilung auszusehen hat. Kleins Betrachtungen entsprechend damit den Paradigmen seiner Zeit, wie bereits aufgezeigt.

Diese Vorstellungen übertragen sich selbstredend in die gestalterische Ebene. Die Funktionsteilung, die Klein im Grundriss vornimmt, ist auch eine Unterteilung nach Geschlechterrollen, angepasst an das männliche Alleinversorgermodell. Die Ausrichtung der Standardwohnung auf die Klein- bzw. Kernfamilie macht dieses Familien- und Wohnmodell zur Standard-Reproduktionseinheit und wird damit auch zu einer Form des Regierungsmodus in foucaultschen Sinn.

Kleins in die beschriebene Gesellschaftslogiken eingebettete Ordnungsbestrebungen verknüpft er mit tayloristischen Ansätzen, auf die er durch Bruno Tauts Buch Die neue Wohnung – Die Frau als Schöpferin aufmerksam wird. Da dieser Aspekt eng mit der gewählten Zeichenmethode der Ganglinie zusammenhängt, gehe ich darauf näher im ersten Entwicklungsschritt der Methode ein.

Aus welcher Position Klein auf gesellschaftspolitische Themen blickt, geht nicht klar aus den Primärquellen hervor. Stöhner leitet aus Kleins Arbeit an russischen Projekten ab, dass es Klein um einen egalitären wohnkulturellen Standard ginge, da die Bedürfnisstruktur gleich sei, egal welcher Klasse man angehöre. Währenddessen schreibt Klein in einem gemeinsamen Artikel mit Werner Hegemann zum Freidorf bei Basel: „Auch bei den Hausgrundrissen schließt die Normierung die doch wohl wünschenswerte Trennung zwischen Häusern für Hand- und Kopfarbeiter (Lüdecke!) aus.“ Allgemein lässt sich feststellen, dass Klein der soziale Druck, der auf dem Wohnungsfrage lastete, absolut klar war. Er setzte sich für leistbaren Wohnraum ein, der auch räumlich-qualitativen Standards entsprechen sollte, selbst wenn sich diese Absicht mit gesellschaftlichen Normen und Stereotypen überlagerte.

Wohnraumproduktion nach Marktlogik bedeutete in der Regel den generalunternehmerischen Entwurf und Ausführung des Renditeobjekts durch den Bauunternehmer. Die Wohnungsgröße korrelierte mit dem Preis und mit der Positionierung im Gebäude. Die Durchmischung von Mietskasernen entsprang also nicht dem Ideal der sozialen Durchmischung, sondern ist ein Abbild der Verwertungslogik, um die maximale Grundstücksüberbauung marktfähig zu halten.

Baugenossenschaften und Vereine wurden auch mit dem Ziel gegründet, einen höheren Qualitätsstandard zu erreichen, der sich nicht ausschließlich den Maximen der Profitmaximierung unterwerfen sollte. Nachdem man im Rahmen der Mietskasernen Erfahrung mit sich schnell verbreitenden Krankheiten wie Tuberkulose gemacht hatte und im Allgemeinen sehr schlechte hygienische Zustände durch Überbelegung vieler Wohnungen herrschten, gab es eine Sehnsucht nach natürlichen Lebensbedingungen.

Das Einfamilienhaus außerhalb der Stadt wurde als das erstrebenswerte Ziel für jede Familie propagiert. Klein schreibt dazu:

„Namentlich den freischaffenden Architekten erwächst hier die wichtige Aufgabe, sich in diese Fragen zu versenken, um das Leben in den Stockwerkswohnung möglichst wirtschaftlich, bequem und behaglich zu gestalten und es dem Wohnideal im Einfamilienhaus anzugleichen.“

Dass das Konzept Einfamilienhaus nicht zur Lösung der Wohnungskrise beigetragen hat, wissen wir heute – und auch in den 1920er-Jahren war es überwiegend die Oberschicht, die in die Villenviertel der Stadtränder zog.

Die Flurlose Wohnung – oder: Brauchen wir Eingangsflure in Kleinstwohnungen?

Die Aufarbeitung und Reflektion der Wettbewerbe zur Wohnbebauung am Tempelhofer Feld, der Beitrag zum Wohnbau für den Moskauer Sowjet und die Studien für das Eckgrundstück Ravensburgerstraße/Brandenburgische Straße in selbstständiger Arbeit im Rahmen des Artikels Tagesfragen der Berliner Wohnungswirtschaft sind ein erster wichtiger Schritt für Kleins Entwicklung von Grundrisstypen. Als Alternative zum typischen Berliner Wohnungsgrundriss bietet Klein einen Vorschlag an, der auf einen zentralen Wohnraum und funktionale Trennung setzt und den er fortan weiterentwickelt.

Im Artikel Brauchen wir Eingangsflure in Kleinstwohnungen? in der Bauwelt 1927 widmet er sich dem dunklen, zentralen Flur und detailierten Untersuchung der bereits genannten Aspekte. Er weist darauf hin, dass kleine Wohnungen im Grundriss anders funktionieren als die großen Wohnungen, mit denen man bisher planerisch vertraut war. Eine Skalierung des Grundrisses im Sinne der kleiner werdenden Räume bei gleichbleibender Struktur erscheint Klein daher nicht sinnhaft. Diese Herangehensweise führe nur zu scheinbaren Ersparnissen, aber nicht zu einer Lösung nach dem „allgemeinen Grundsatz der Technik“, mit geringstem Aufwand die höchste Leistung zu erzielen.

Er verweist auch hier erneut auf die Faktoren Wirtschaftlichkeit und Berechenbarkeit: „Bei der grundlegenden Arbeit der Grundrissplanung muss sich der Architekt von der Überschätzung nebensächlicher wirtschaftlicher Dinge frei halten […]. Andererseits ist es eine unzulässige Vereinfachung, Hindernisse nur mit dem Rechenschieber in der Hand zu lösen und dabei zu vergessen, dass jede Wohnung nicht ein totes Rechenexempel ist, sondern ein recht verwickelter Organismus.“ Kleins Vorschlag ist daher die Grundrisskonfiguration entschieden neu zu denken. Er zeigt seinen ersten Lösungsansatz, der komplett ohne Flur auskommt, ebenfalls in der Bauwelt.

Der Grundriss misst bei einer Gebäudetiefe von
12,00 m nur 6,71 m fassadenseitig, was die Anordnung von drei Erschließungseinheiten erlaubt. Die Trennung der Funktionen ist klar ablesbar, wobei die Erschließungszone direkt der Wohneinheit zugeschlagen ist. Klein formuliert hier auch spezifisch eine Funktionsüberlagerung für das Wohnzimmer, das gleichzeitig zum Wohnen, Arbeiten und Essen dienen soll. Es bilden sich also wieder die Raumgruppen Wohnen – Essen und Schlafen – Waschen. Das Badezimmer ist dabei – wie bei Kleins Entwurf für das Eckgrundstück Ravensburgerstraße/Brandenburgische Straße – ein gefangener Raum zwischen den Schlafzimmern, der an die Außenwand rückt. Aus diesen vorgeschlagenen Änderungen leitet er wiederum eine verallgemeinerte Liste ab. Die Grundsätze für die Flurlose Wohnung, die direkt aus der Kritik, die vorab im Artikel geäußert wurde, entsprangen und sich im nächsten Schritt in die Graphisches Verfahren weiterentwickeln, lauten:

  1. Kein üblicher dunkler Flur. Stattdessen ein heller breiter Vorraum, der mit dem Wohnzimmer einen Raum (nur durch einen Vorhang getrennt) ergibt. Die lange Perspektive erweckt den Eindruck der Geräumigkeit.
  2. Klare Teilung aller Räume in zwei Gruppen: Schlafräume, Schrankzimmer und Bad und zweitens Wohn- und Esszimmer nebst Küche mit dazwischenliegender Schrankwand und Durchreiche. Die Trennung führt zum Wegfall von Kreuzungen der Ganglinien
  3. Anordnung der Räume, so dass nach der Aufstellung aller nötigen Möbel noch geschlossene Bewegungs- und Arbeitsflächen verbleiben. So wird eine günstige psychische Beeinflussung der Bewohner gewährleistet.
  4. Ausstattung der Küche mit allen notwendigen eingebauten Möbeln unter Berücksichtigung des Arbeitsvorgangs. Die kleine Küche erspart der Hausfrau unnütze Wege und zusätzliche Arbeit.
  5. Anordnung eingebauter Schränke, um die unordentliche Verbauung der Wohnung mit Möbeln zu verhindern und die Bewohner zur Ordnung zu zwingen.
  6. Der Balkon wird dem Wohnzimmer zugeschlagen und gilt als von allen nutzbare Erweiterung der Wohnung.

Während Kleins Pläne standardmäßig und detailliert die Möblierung aufzeigen, kommt hier erstmals ein weiteres graphisches Element zum Einsatz: Ein Pfeil zeigt die Verbindung zwischen Küche und Esszimmer an und gibt dabei Hinweise auf den Arbeitsablauf, den Klein in der Küche vorsieht. Dies bildet ein erstes Beispiel der wissenschaftlichen Beweisführung, mit der Klein intendierte, die Vorteile seines kleineren Grundrisses hervorzuheben, der nicht den Mindestmaßen der Förderrichtlinien entsprach.

Klein resümiert, dass es also keine dunklen Eingangsflure brauche. Am Zentralflur-Grundrisstyp wird nach Kleins Einschätzung allein deswegen festgehalten, weil die Grundrisskonfiguration durch unabhängig zugängliche Zimmer die Untervermietung ermöglicht. Da er mit seinem Vorschlag aber beabsichtigt, eine mögliche Antwort auf die Wohnungskrise zu formulieren und dafür einen völlig anderen Typ der Grundrisskonfiguration schafft, hält Klein das Argument der unabhängigen Räume für nicht valide – vor allem nicht aus der Perspektive eines Architekten.

Der Raumgruppengrundriss

Klein entwickelte auch den in Brauchen wir Eingangsflure in Kleinstwohnungen? gezeigten Grundriss weiter, um das Problem des gefangenen Badezimmers zu beheben. Klein sah hierfür einen Schrankraum vor, der sowohl die Schlafzimmer als auch das Badezimmer erschloss. Der Wohnraum wurde außerdem von der Durchgangsfunktion befreit. Damit gelang ihm ein Grundrisstyp, der hinsichtlich funktionaler Kriterien dem Zentralflurgrundriss überlegen war. Klein löste sich mit dieser Version auch von den Mindestanforderungen der Förderrichtlinien.

Das Ergebnis der Weiterentwicklung konnte Klein im Rahmen der Ausstellung Die neue Wohnung und ihr Innenausbau in Frankfurt am Main zeigen. Ernst May initiierte die Ausstellung und räumte Klein die Möglichkeit ein, seinen alternativen Ansatz in direktem Vergleich zu einem konventionellen, zentral erschlossenem Grundriss zu zeigen. Im Mai 1928 konnte Klein den Grundrisstyp außerdem als 1:1 Mock-Up auf der Ausstellung Heim und Technik in München zeigen. Im selben Jahr konnte er den Ansatz in der GAGFAH-Demonstrationssiedlung am Fischtalgrund in Berlin-Zehlendorf als gebautes Projekt realisieren.

Klein selbst führt die Entwicklung der Funktionstrennung in Raumgruppen zurück bis auf sein Projekt in der Kronwerkskij Straße in St. Petersburg. In der Publikation Beiträge zur Wohnungsfrage – Probleme des Bauens setzt er sein eigenes Projekt in den direkten Vergleich zu Luxuswohnungen am Kurfürstendamm. Die Komposition der Berliner Wohnungen beschreibt er als mangelhaft. Zusammenhang und Differenzierung der Räume fehle, die Erschließung sei schlecht gelöst, sodass man sich bei parallel stattfindender Nutzung gegenseitig störe. Bei seinem eigenen Entwurf weist er auf die Teilung der Räume in drei Gruppen hin: Die Wohn-, Schlaf- und Wirtschaftsgruppe. Er versieht diese Konfiguration mit der Bemerkung „Die Funktionen dieser Gruppen können ungestört voneinander ausgeübt werden.“ Dieser Faktor wird sich als einer der Bewertungsparameter in der Graphischen Methode wiederfinden.

Hinführung zur Methode

Noch bevor Klein die Methode in WMB vorstellt, schreibt Leo Adler im vorangehenden Heft eine Einordnung zu den Fragen und Vorbedingungen der Typisierung. Der Artikel ordnet Kleins Entwurfs- und Studienarbeiten ein und erläutert die Ideen hinter der Maxime der Typisierung.

Adler beginnt seine Argumentationslinie mit der Frage, wann Typisierung bisher geschehen sei und ob die Kleinstwohnung in dieser Ausführung überhaupt typisierungsfähig sei. Seiner Einordnung zufolge kam es zuallererst bei Kirchen und Bauernhäusern zu einer natürlichen Typenbildung aus dem geschichtlichen Entwicklungsverlauf heraus. Im 18. Jahrhundert entwickelten sich aus staatspolitischen Gründen künstlich und behördlich vorgeschriebene Typisierungen. Die zeitgenössischen Tendenzen der 1920er-Jahre ordnet er hingegen als „das bewusste Streben nach höchstmöglicher Wirtschaftlichkeit [ein] oder, rein technisch gesprochen, die Erzielung einer größtmöglichen Wirkung (Nutzeffekt) bei geringstem Material- und Arbeitsaufwand [sei] die wichtigste Aufgabe der industriellen Typisierung im Wohnhausbau.“

Auch das Gegenargument, dass Typisierung per se zu keinen guten baukünstlerischen Ergebnissen führe – oder wie Adler es schöner ausdrückt, „Typisierung bedeute baukünstlerische Verarmung, trostlosen Schematismus und langweiligste Uniformierung“ – entkräftet Adler aktiv auf mehreren Ebenen. Er zieht dafür einerseits das Beispiel der Bauernhäuser und Kirchen heran, und argumentiert, dass sich gerade im Kirchenbau nur auf Grundlage der Typen die volle Reife der Bauten entwickeln konnte – ohne Verlust des baukünstlerischen Anspruchs.

Zusätzlich führt er die gestalterischen Aspekte aus, die in Kleins Arbeit eine zentrale Rolle spielen. Kleins Arbeit setzt nämlich gerade beim Mangel der räumlichen Qualität der Kleinstwohnungen an – wie er selbst ausführt. Sowohl die Problematik des dunklen Flurs als auch die nicht durchdachte Anordnung und der Zusammenhang der Räume zueinander sind Aspekte, die Klein zu lösen versucht. Dabei strebt er eine möglichst große zusammenhängende Zimmerfreifläche im Grundriss an, die sich auf Wohn- und Esszimmer als Zentralraum der Wohnung konzentriert.

„Wirft man im Anschluß an die Betrachtung der Wohnräume einen Blick auf die Fassadengestaltungen, so erkennt man, daß bei aller rechnenden Sorgfalt, die den Grundrissen zuteil geworden ist, Klein die Arbeit an einem Wohnungsentwurf nicht mit dem Rechenschieber in der Hand erledigt, daß er keine Wohnmaschine, wie das beliebte Schlagwort lautet, errichten will, sondern Wohnhäuser, bei denen auch die äußere Gestaltung wichtig ist. Das ist nicht weiter erstaunlich bei einem Architekten, der sich eine strenge Schulung an mustergültigen Beispielen des Klassizismus und des Empire erworben hat und für die Sachlichkeit kämpft, dem programmatische Schlagworte ebenso fremd sind wie der Wahn, die Kleinwohnung sei lediglich eine Aufgabe der geometrischen Aufteilung und der Zweckerfüllung. Ihm ist Fassadengestaltung und Grundrißbildung eine Aufgabe, die baukünstlerisch zu lösen ist.“

Die Zusammenführung von architektonisch-funktionalen Überlegungen mit ökonomischem und sozialem Bewusstsein zu einem Ergebnis, das räumliche Qualität widerspiegelt, ist Kleins erklärtes Ziel. Die Rationalisierungsvorschläge, die er im Sinne einer Verkleinerung der Grundrisse macht, gehen dabei immer mit dem Ziel der Qualitätssteigerung einher. Sein Interesse an Leistbarkeit und Wirtschaftlichkeit gilt nicht der Profitmaximierung, sondern dem bestmöglichen Ergebnis für die Nutzer*innen, das auch den Hauptantrieb für Kleins Arbeit bildet. Eine Perspektive, die auch heute noch hochaktuell ist.

Fortführung

14/03/2023

1.03 Architekturschaffen in der Weimarer Republik

Die unsteten wirtschaftlichen Bedingungen wirkten sich selbstredend auch auf das Architekturschaffen in der Weimarer Republik aus: Bei sehr hohem Druck auf dem Wohnungsmarkt gab es gleichzeitig „wenig Arbeit“ für (Privat)Architekten1, da sich Architekten einerseits als Baukünstler verstanden und andererseits private Bauherren weniger Aufträge vergaben.2 Klein reflektierte diesen geringen Grad der Einbeziehung von Architekten hinsichtlich der Architekturqualität aktiv im Zusammenhang der Wohnungsfrage im Artikel Tagesfragen der Berliner Wohnungswirtschaft.3

Die Hinwendung von Architekten zur sozialen Frage der Wohnraumproduktion lässt sich ebenso wie die politische Neuausrichtung als einschneidend begreifen. In den 1840er-Jahren hatten Architekten derartige Bauaufgaben noch abgelehnt mit der Begründung, dass „eine solche Bauaufgabe zu wenig architektonisches Interesse biete.“4 Das Berufsbild begann zu dieser Zeit stark fragmentiert zu werden und klaffte auseinander in eine ästhetische, eine bautechnisch-praktische und eine soziale Komponente, die jeweils von anderen Berufsgruppen mit divergierenden Zielsetzungen vertreten wurde.5 Der Kampf um das Berufsprofil – also die Frage danach, woran und in welcher Form „der Architekt“ zu arbeiten hat – ist ein integraler Teil und (bis heute) andauernder Aushandlungsprozess, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit den drängenden Fragen der Wohnraumversorgung aus ganz neuer Perspektive stellte und damit zuspitzte.6

Der neue Aufgabenbereich des Massenwohnungsbaus wird nach dem Krieg nur zögernd angenommen. Die Herausforderungen – gestalterischer Anspruch bei knappem finanziellem Spielraum – waren andere als bei den bisherigen konventionellen Bauaufgaben, die von Architekten für eine gehobene bürgerliche Schicht ausgeführt wurden. Es stellte sich die Frage, wie Architekten mit dem neu identifizierten sozialpolitischen Auftrag umgehen wollten.7 Im Laufe der 1920er-Jahre wird der (Vorläufer des sozialen) Wohnungsbau hingegen das Thema der Architektur dieser Zeit. Einerseits gegründet auf die Idee, dass jedem Menschen eine gute Wohnung zusteht – aber wohl auch eingebettet in eine opportunistische Grundhaltung: weil die Auftragslage es nicht anders erlaubte. Architekten besetzten eine neue Vermittlerrolle zwischen den sozialen Ansprüchen, die vom entstehenden Wohlfahrtsstaat formuliert wurden und den ökonomischen Sachzwängen der Knappheit der Zwischenkriegszeit. Die Beachtung der volkswirtschaftlichen Effizienz – sowohl was den Bauprozess, aber auch die Nutzung von Wohnraum betrifft – geht nahtlos einher mit neuen Entwurfsmethoden und der sich an industriellen Standards der Massenfertigung orientierenden neuen Ästhetik der Moderne.8

Eine neue gesellschaftliche Ordnung – Architekten als Sozialingenieure9

Diese Situation führt bei den deutschen Architekten zu unterschiedlichen Positionierungen und Zusammenschlüssen. Walter Gropius argumentierte 1919 im Gründungsmanifest für das Bauhaus für eine Rückbesinnung auf handwerkliche Praxis10, ähnlich verortete sich Heinrich Tessenow – beide wichtige Referenzpunkte für Klein.11 Es entstanden progressive Zusammenschlüsse wie der Ring, aber auch gegenläufige, konservative Architektenbünde wie der Block.12 Klein gehörte keinem dieser einflussreichen Zusammenschlüsse an.13

Unter den allgegenwärtigen Schlagworten „Licht, Luft und Sonne“ wurden neue hygienische Standards eingeführt und das Neue Bauen als Spiegel einer neuen Gesellschaft hielt Einzug. Die Architekten, die sich dem Neuen Bauen zuordnen lassen – darunter beispielsweise Ernst May, Bruno Taut, Hugo Häring, Martin Wagner und andere – richteten ihr Augenmerk auf die Massenproduktion von Wohnraum.14

Die bereits angedeutete Veränderung des beruflichen Selbstverständnisses zeigt sich auch in der Neuausrichtung im Sinne der Ration. Der Versuch, Architektur sozial auszurichten – quasi in gerechte Häppchen aufzuteilen – ist eng verknüpft mit der Vorstellung, dass Planungsprozesse wissenschaftlich untermauert und rechnerisch belegt werden sollten.15 So scheibt Ernst May16 in der Monatsschrift Das neue Frankfurt:

„Anstelle des mehr oder weniger gefühlsmäßigen Tastens muß das exakte Rechnen treten, selbstverständlich ein Rechnen, das auch die psychologischen Bedürfnisse des Menschen hinreichend berücksichtigt. Eine sorgfältige Erforschung der soziologischen und biologischen Grundlagen des menschlichen Wohnungsbaues wird zur Folge haben, daß wir den Menschen künftighin nicht mehr eine beliebige Wohnung zur Verfügung stellen, sondern daß wir für bestimmte Menschengruppen, geschichtet nach Kopfzahl und Wirtschaftskraft, das Wohnungsminimum fixieren und darauf hinarbeiten, einem jeden seine ‚Ration‘ Wohnung in möglichst vollkommener Weise zu beschaffen. Bauwissenschaft und Hygiene werden sich mit der Psychologie verbinden müssen, um die Wohnung zu schaffen, die technisch vollendet und dabei doch menschlich gestaltet ist.“17

Die Gesichtspunkte, die hier zusammengezogen wurden – die Rationalisierung der Planung, die Nutzung der Wohnung, das Motiv der bestmöglichen psychischen Erhaltung der Arbeitskraft und die Festschreibung der minimalen Reproduktionsbedingungen des Körpers – spiegeln sich im Topos der Klein(st)wohnung wider. Die komplexe kulturelle Praxis des Wohnens – die anscheinend unkontrolliert, ungeordnet vor sich ging – wird mit dem neu geschaffenen Superlativ zum quantifizierbaren Raumanspruch, den man hin zum Minimum auslotet.18

Auch Darstellung und Bildsprache in der Architektur werden dementsprechend an die Verwissenschaftlichung angepasst. Tabellen, Zahlenreihen und Vergleichsmaße gehören zum neuen Standardrepertoire der Darstellung in Artikeln und bei Wettbewerben.19 All diese Aspekte werden wir an späterer Stelle dieser Arbeit in Kleins Methode aufeinandertreffen sehen. Klein verschaltet Ideen der Rationalisierung und Funktionalität im Sinne des tayloristischen Scientific Managements direkt mit seiner Zeichenpraxis im Grundriss.

Der Prozess der Neuorientierung innerhalb der Architektur fand nicht nur in Deutschland, sondern im Austausch zwischen internationalen Akteur*innen statt. Die Architektur-Avantgarde in Deutschland war vernetzt, die gestalterischen Eliten sehnten sich nach der Moderne und schauten dabei auch ins Ausland. Von dieser Vernetzung zeugen sowohl die vielen Publikationen deutscher Architekten in internationalen Magazinen als auch das Stattfinden des Congrès Internationaux d’Architecture Moderne in Deutschland. 1929 fand in Frankfurt am Main die CIAM II unter dem Titel Die Wohnung für das Existenzminimum statt. Deutsche Architekten prägten den Diskurs um die Neudefinition des Wohnens mit dem Begriff des Existenzminimums. Auch Klein war mit einem Ausstellungsbeitrag vertreten. Erstmals wird das häusliche Leben als konkrete, relevante Aufgabe von internationalem Rang für moderne Architektur begriffen und daraus ein soziales Projekt inklusive einer Agenda abgeleitet. 20 Ernst May übernahm dabei als eine der wichtigsten Personen im deutschen Diskurs um Wohnraum den Vorsitz der CIAM II-Konferenz.Das Existenzminimum sollte die Voraussetzungen für ein menschenwürdiges und gesundes Leben schaffen. Darin eingeschlossen waren der Zugang zu Nahrung, Kleidung, medizinischer Versorgung sowie Wohnraum. Die Idee der Wohnung für das Existenzminimum zielte ursprünglich darauf ab, qualitativ hochwertige Wohnstandards zu erschwinglichen Preisen für Familien mit geringem Einkommen zu schaffen. Das Konzept trug dazu bei, neue Standards für die allgemeine Wohnungsproduktion zu definieren.

In ihrem Paper Reinterpreting Existenzminimum in Contemporary Affordable Housing Solutions arbeitet Sara Brysch fünf Maximen des Existenzminimums heraus, die auf ihrer kritischen Analyse von Primärquellen, die nach der CIAM II veröffentlicht wurden, basieren – auch Kleins Arbeiten finden sich darunter:21

1)      Innovation und Kosteneffizienz beim Bau, Rationalisierung der Produktion von Bauelementen (Corbusier & Jeanneret, 1930; Teige, 1932/2002)
2)      Mindestqualitätsstandards (AK-1927_Die Baugilde-9-22; May, 1930)
3)      Neugestaltung der häuslichen Struktur mit Fokus auf die Kernfamilie (Gropius, 1930; AK-1927_Die Baugilde-9-22)
4)      Beziehung zwischen Architektur und Stadt (Gropius, 1930; May, 1930)
5)      Gemeinschaftsbildung und soziale Einbindung (Gropius, 1930; May, 1930; Teige, 1932/2002)

Die Entwurfsprinzipien des Existensminimums nach Sara Brysch

Ein Grundprinzip, das sich hier besonders in Punkt 3 ablesen lässt und sich als roter Faden durch die Moderne zieht, ist der Aspekt des Ordnens. Zygmunt Baumann beschreibt die Moderne als eine Phase der Ambivalenz: Die neue säkulare Welt voller Chaos löst Sehnsüchte nach fassbaren, geordneten Strukturen aus.22 Architekt*innen schaffen diese Ordnung auf räumlicher Ebene, ohne dass es dazu ein staatliches Eingreifen bräuchte. Was dem Wohlfahrtsstaat entgegenkam, der mit der Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum im Umkehrschluss auch eine Erwartungshaltung gegenüber seinen Bürger*innen hatte.23

Es galt nicht nur, die hygienischen Bedingungen zu verbessern, um die (produktive) Arbeitskraft des Einzelnen sicherzustellen – die Erinnerung an überbelegte Mietskasernen als Herd für Infektionskrankheiten und damit als Garant für Produktionsausfälle hinterließ Spuren –, sondern unter den Schlagworten Sittlichkeit, Sauberkeit und Geschlecht auch neue gesellschaftliche Normen zu etablieren.24 Hygienische Prämissen bleiben bis in die 1960er-Jahre hinein Ausgangspunkt für die Argumentation sozialer Ziele in der Architektur. Ziele, die nicht selten von moralischen Vorstellungen und Urteilen durchsetzt waren.25

Unter den Paradigmen der rationalen Planungsinstrumente und funktionalen Planung verbanden sich diese neuen, gesellschaftspolitischen Ideale zu neuen Wohntypologien. Die Hinwendung zum Existenzminimum galt nicht nur als Lösungsansatz für das drängende Problem der Wohnungsnot, sondern war auch eine sehr architektonische Antwort auf die Problemstellung. Die Optimierungsarbeit im Grundriss wurde „regelrecht als Selbstzweck betrachtet. Denn die Arbeit am Grundriss ließ sich als Funktion einer generellen gesellschaftlichen Rationalisierung interpretieren – und das verlieh der Beschäftigung mit der Mindestportionierung des Wohnraums große Legitimität.“26

Die Rationalisierung war argumentative Grundlage und Kompass für Architekturschaffende. Das Selbstverständnis des Architekten als Baukünstler, der sich ohne äußere Zwänge dem Schaffen hingab, wurde dabei erschüttert und entmystifiziert. Im Vergleich zu anderen Expert*innen (wie beispielsweise Ingenieuren) mussten sich Architekten neue Kompetenzen aneignen, um ihre Position zu verteidigen bzw. sich als neue Expert*innen zu positionieren. Auch aus dieser Perspektive folgt die Hinwendung zu wissenschaftlich-rationalen Tendenzen der Logik ihrer Zeit.27

Das eigentliche Ziel, kostengünstigen Wohnraum für Geringverdiener*innen herzustellen, verfehlte man aber und blieb weit hinter den ambitionierten Zielen zurück. Die Großwohnbauten mögen zwar ein architektonisch-ästhetischer Höhepunkt gewesen sein, konnten das Problem der Wohnungsnot aber nicht hinreichend lösen.28 Die Mieten lagen in Arbeiter*innenvierteln bei ca. 40% des Gehalts von mittleren Arbeiter*innen. Viele Familien, denen weniger Einkommen zur Verfügung stand, sahen sich daher gezwungen, Wohnraum zu teilen. Die neu errichteten Bauten kamen eher einer bürgerlichen Mittelschicht und weniger der Arbeiter*innenschaft zugute, für die die Wohnungen laut politischer Agenda bestimmt waren.29 Architekt*innen wollten zwar einen Beitrag zur Wohnungsfrage leisten, grundsätzlichere Fragen nach den Eigentumsverhältnissen wurde dabei allerdings nicht gestellt.30

Auch Klein hatte einen durch und durch realpolitischen Zugang zum Thema. Er stellte die strukturellen Gegebenheiten nicht infrage, sondern versuchte von Beginn seiner Auseinandersetzung mit Wohnungsgrundrissen an, das Maximum an Qualität aus seinen Grundrissen herauszuholen. Daran änderten auch die eingeschränkten Bedingungen zum Ende seines Schaffens in Deutschland nichts.

Sein erstes Wohnungsbauprojekt in Deutschland konnte Klein erst 1928 realisieren. Bis zum ersten Umsetzungserfolg publizierte er in der Zeitschrift Wasmuths Monatshefte für Baukunst und in der Bauwelt Wettbewerbsprojekte sowie die Bauten, die er zuvor in Russland errichtet hatte.31

Die Reichsforschungsgesellschaft

Dass sich Klein so intensiv der Studien- und Publikationsarbeit zuwandte, dürfte auch damit in Verbindung gestanden haben, dass es hier etwas zu tun gab – die Reichsforschungsgesellschaft stellte Geld für Forschung zur Verfügung. Die von Marie-Elisabeth Lüders initiierte Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen (RFG) war ein von 1927 bis 1931 wirkender Zusammenschluss aus Architekt*innen, Politiker*innen und Vertretern der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft mit dem Ziel, neue Erkenntnisse für den Wohnungsbau zu generieren. Das Zusammenspiel unterschiedlicher Gründe führte zur Entstehung der Forschungsgesellschaft, die umfassende Forschungsbestrebungen vorantrieb und so, ob ihrer kurzen Wirkungsdauer, einen wesentlichen Einfluss entfaltete. Sowohl Aspekte der (unzureichenden) Produktivität und Rationalisierung am Bau, als auch neue Baumethoden wie der Stahlskelettbau oder der Bau mit Betonfertigteilen innerhalb des bereits beschriebenen schwerwiegenden Wohnungsmangels sowie die Wissensweitergabe und die Verknüpfung all dieser Themen mit der neuen sozialpolitischen Agenda der Weimarer Republik spielten eine Rolle.32

Die großen Namen der damaligen Architekturszene waren vertreten: Walter Gropius, Hugo Häring, Ernst May, Margarete Schütte-Lihotzky, Bruno und Max Taut und weitere bekannte Namen reihen sich ein. In der kurzen Zeit, in der die Forschungsgesellschaft aktiv war, arbeiteten die rund 500 Mitglieder in mehr als vierzig Ausschüssen.33 Die Typenlösungen für die Grundrissbildung standen dabei von Anfang an im Vordergrund.

Auch Alexander Klein war an den Arbeiten der RFG beteiligt und trug sowohl in Form von Ausschussarbeit, aber auch mit eigener Forschung unter dem Titel Grundrissbildung und die Raumgestaltung von Kleinwohnungen, neue Auswertungsmethoden bei.34 Nachdem das Bauen eng an staatliche Entscheidungen gebunden war, kam Architekt*innen, die Rollen in der öffentlichen Verwaltung besetzten, eine besondere Bedeutung zu – was auch auf Klein zutraf, der ab 1927 Baurat in Berlin war.35 Stöhner zeichnet Kleins Bedeutung innerhalb der RFG nach und bewertet Kleins Einfluss dabei allerdings als geringfügig, da die Grundrisssammlung, die als Ergebnis von der RFG herausgegeben wurde, seines Erachtens weit hinter den Ansätzen Kleins zurückblieb und in der Praxis keine positive Auswirkung zeigte.36

Im Rahmen der großen technischen Tagung der RFG im April 1929 hatte Klein allerdings die Chance, spezifischer über den Stand seiner Arbeit zu informieren. Klein konnte seine Arbeit an dieser Stelle bereits mit praktischen Anwendungsfällen unterfüttern. Für die Errichtung von 1000 Wohnungen in Bad Dürrenberg (Kreis Merseburg) hatte er sich gegen Walter Gropius durchgesetzt.37 Dennoch, wie Stöhner hervorhebt, kann sich Klein innerhalb der RFG nicht durchsetzen – seine Positionen erhalten keine Unterstützung, er scheint isoliert.

„Dies wäre sowohl auf die Abwehrhaltung seiner beruflichen Konkurrenten als auch auf seine eigene, auf Distanz abgestellte Grundhaltung zurückzuführen, denn Klein, der jüdische Immigrant, konnte sich keiner der einflussreichen Gruppierungen, wie sie z. B. die Architektenvereinigung ‚Der Ring‘ darstellte, zurechnen.“38

Klein zog sich aus der RFG noch vor dessen Auflösung zurück und forschte selbstständig an seinen eigenen Ansätzen weiter. Er plante die Herausgabe einer Enzyklopädie zum Wohnungswesen und Städtebau. Das Buch Einfamilienhaus – Südtyp, das 1934 erschien, blieb allerdings das einzige Buch der geplanten Reihe, das Klein publizierte.39

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Quellen

[1] Der Begriff „Privatarchitekt“ ist entliehen von Ricken, der den Begriff auf die Entstehung des kapitalistischen Baumarkts im 19. Jahrhundert zurückführt. Der Privatarchitekt arbeitet als freischaffender, unabhängiger Architekt für private Auftraggeber auf Honorarbasis. Zusammenschlüsse wie der Bund Deutscher Architekten BDA, gegründet 1903, also auch in dieser Periode, versuchen die Position genau dieser „Privatarchitekten“ zu schützen. Aus diesem Bestreben geht auch der Schutz der Berufsbezeichnung hervor. Ricken, 1977. S 88ff.
[2] Vgl. dazu Stöhner, 1976. S 19/29 sowie Ricken, 1977. S 115/124
[3] AK-1926_Städtebau-21-6
[4] Hegemann 1963. S 206
[5] Vgl. Ricken, 1977. S 102ff.
[6] Die Friktion der Ausrichtung zwischen technisch-wissenschaftlichem, sozialem oder künstlerischem Zugang zum Architekturberuf spiegelte sich auch in der Ausbildungsstruktur zwischen polytechnischen Schulen und Kunstakademien wider.
[7] Zimmermann, 1991. S 51.
[8] Kuchenbuch, 2010. S. 76
[9] Das Kapitel orientiert sich an der Arbeit des Historikers David Kuchenbuch, der unter dem Titel Geordnete Gemeinschaft – Architekten als Sozialingenieure. Deutschland und Schweden im 20. Jahrhundert eine umfassende historische Einordnung zum Thema vorgelegt hat.
[10] „Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück! Denn es gibt keine ‚Kunst von Beruf‘. Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker. Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers“ Gropius, 2001, S 4
[11] Klein brachte Tessenow Wertschätzung entgegen und orientierte sich auch bzgl. Kleinwohnungsbau bei ihm. Vgl. AK-1926_WMB-1-10, S.10, oder AK-1928_Probleme des Bauens. S 122 sowie Stöhner, 1976. S 93. Gegen Gropius setzt sich Klein im Wettbewerb um das Projekt in Bad Dürrenberg durch und folgt man der Herleitung Stöhners dazu, hat Gropius auch die Idee des Raumgruppengrundriss von Klein in einige seiner Projekte übernommen. Vgl. dazu Stöhner, 1976. S 217ff.
[12] Vgl. Kuchenbuch, 2010. S. 96, sowie Ricken, 1977. S 121/125
[13] Vgl. Stöhner, 1976. S 153
[14] Vgl. Lueder, 2017. S 84
[15] Vgl. Kuchenbuch, 2010. S. 76ff.
[16] Ernst Georg May (1886–1970), deutscher Architekt und Stadtplaner. Er wirkte von 1925–30 in Frankfurt am Main als verantwortlicher Planer für die Stadt unter dem Titel Siedlungsdezernent/Stadtrat. Er realisierte das auf 10 Jahre angelegte Wohnungsbauprogramm Neues Frankfurt, das der Denkwelt des Neuen Bauens zuzuschreiben ist und gilt als einer der wichtigsten Architekten im Bereich des Wohnungsbaus dieser Zeit. Er war Mitglied des Deutschen Werkbundes.
[17] May, 1929. S 210
[18] Vgl. Kuchenbuch, 2010. S 76ff.
[19] Vgl. Kuchenbuch, 2010. S 79
[20] Vgl. Korbi/Migotto, 2019. S 300
[21] Vgl. Brysch, 2019. S 329. Zur einfacheren Orientierung sind die Quellenverweise hier direkt in der Auflistung zugeordnet.
[22] Vgl. Baumann, 1991. S 11/16/21/97ff., Kuchenbuch, 2010. S 16
[23] Vgl. Kuchenbuch, 2010. S. 89
[24] Eine genaue moralische Vorstellung zu diesen Themen lässt sich auch bei Klein wiederfinden, der daraus gestalterische Schlüsse ableitet. Vgl. hierzu AK-1928_Probleme des Bauens. S 122ff.
[25] Vgl. Kuchenbuch, 2010. S. 84
[26] Kuchenbuch, 2010. S. 78
[27] Zimmermann, 1991. S 51 und Kuchenbuch, 2010. S. 886ff.
[28] Vgl. Schulz, 1993. S 43
[29] Vgl. Korbi/Migotto, 2019. S 300; Klein diagnostizierte den politisch Verantwortlichen hier fehlende Kompetenz und falsch formulierte Zielsetzungen. Er hielt die Mindestvorschriften für fehlgeleitet und fasst die Situation spitz wie folgt zusammen: „vielmehr ist der Gesetzgeber vermutlich davon ausgegangen, daß das Publikum gegen kleine Räume voreingenommen ist und noch immer als Ideal ‘die pompöse Aufmachung der Berliner Kurfürstendammwohnungen‘ betrachtet.“ AK-1926_Städtebau-21-6. S 93
[30] Vgl. Kuchenbuch, 2010. S 77
[31] Vgl. Lueder, 2017. 84, sowie die unter Primärequellen gelisteten Einträgen zu WMB/Bauwelt von 1926–1928. Werner Hegemann und Leo Adler, die als Herausgeber und Chefredakteur maßgeblich die Wasmuths Monatshefte für Baukunst mitbeeinflussten gaben Klein einen Sprachraum für seine Arbeit und drückten immer wieder ihre Wertschätzung gegenüber Kleins Arbeit aus.
[32] Vgl. Fleckner, 1993. S 153ff.
[33] Vgl. Stöhner, 1976. S 150.
[34] (Stöhner, 1976) Vgl. Ibid. S 151 sowie Fleckner, 1993. S 156.
[35] Baffa Rivolta/Rossari, 1975. 33 f.
[36] Stöhner, 1976. S 150 ff.
[37] (Stöhner, 1976) Vgl. Ibid. S 152 f.
[38] (Stöhner, 1976) Vgl. Ibid. S 153[39] Vgl. Stöhner, 1976. S A26

14/03/2023

1.02 Legislative und ökonomische Dimensionen des Wohnens in der Weimarer Republik

Eingebettet in den sich wandelnden gesellschaftspolitischen Kontext weg von der Klassen- hin zur Massengesellschaft, wandelt sich auch das politische Verständnis von und der Umgang mit Wohnraum in der Weimarer Republik eklatant.

Bereits im Kaiserreich um 1870 stellte man die Wohnungsnot in deutschen Städten fest.1 Ein Zustand, der bis in die Weimarer Zeit hinein anhielt und sich durch anhaltende Urbanisierung und Krisen verschärfte, insbesondere durch den Ersten Weltkrieg. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts verzeichnete Berlin einen bemerkenswerten Bevölkerungszuwachs, der die Einwohneranzahl von 170.000 auf 1.950.000 ansteigen ließ. Im Jahr 1920 war Berlin mit rund 3.900.000 Einwohner*innen eine der am dichtesten besiedelten Städte der westlichen Welt.2

Das Schlagwort „Wohnungsnot“ hatte anhaltend Konjunktur – wie es Clemens Zimmermann treffend fasst –, besonders im Bereich der Kleinwohnungen herrschte Unterversorgung.3 Bereits vor dem Ende der Monarchie führten die Missstände zu Sozialkritik und Organisation beispielsweise mit den Boden- und Wohnreformbewegungen oder in den ersten Bestrebungen von Ärzten, neue hygienische Grundstandards im Wohnungswesen zu etablieren. In den 1910er-Jahren kam zur Knappheit der Wohnungen zusätzlich ein Anstieg der Mieten hinzu, was den Druck auf die Bevölkerung weiter erhöhte und die Politik zum Handeln zwang.4

Private, marktwirtschaftliche Bestrebungen, angetrieben durch Bau- und Bodenspekulation der Kaiserzeit, konnten den großen Bedarf an Wohnraum in den Städten nicht decken. Der Erste Weltkrieg 1914–1918 und seine Nachwirkungen führten zu einer weiteren Zuspitzung der Verknappung, sodass massives staatliches Eingreifen unausweichlich wurde, um soziale Spannungen nicht eskalieren zu lassen. Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass sich in dieser Periode das staatliche Handeln auf mehreren Ebenen im Wohnungswesen ausdehnt. Neben der Bestrebung, mehr Wohnraum durch Baumaßnahmen bereitzustellen, wurde die Bewirtschaftung von Wohnraum kontrolliert und die Gesetzesgrundlagen des Mieter*innenschutzes geschaffen.5Im Interesse der öffentlichen Sicherheit und des sozialen Friedens wurde 1916 der erste Mietenstopp angeordnet und ab 1917 insgesamt drei Mieterschutzverordnungen erlassen, die sich auf Kündigungsschutz, Kontrolle künstlicher Verknappung und Mietpreisbegrenzung fokussierten.6 Die gesetzlichen Maßnahmen gelten als die Vorläufer heutiger legislativer Mechanismen zum Mieterschutz, wie der Mietpreisbremse.7 Lisa Vollmer hebt in ihrer Analyse hervor, dass sich bereits hier „das klassisch (west-)deutsche Modell der Wohnraumversorgung abgezeichnet: Eingriffe in den Wohnungsmarkt erfolgen nur, wenn die Wohnungskrise den gesellschaftlichen Frieden bedroht.“8

Im sozialpolitischen Kontext ist die Weimarer Republik als Wende hin zum gemeinwohlorientierten Wohnen zu verstehen und als Wegbereiter der strukturellen Grundlage des heutigen sozialen Wohnungsbaus einzuordnen. Der Staat greift bewusst mit einer Reihe von einschneidenden und stark lenkenden gesetzgeberischen Setzungen ein. Im Rahmen der Wohnungszwangswirtschaft ab 1918, die noch im Rahmen der Kriegswirtschaft zu lesen ist, wurde sogar die Belegung und Zuteilung von Wohnungen staatlich geregelt.9 Die zwangswirtschaftlichen staatlich verordneten Bewirtschaftungsmaßnahmen wurden Mitte der 1920er-Jahre wieder aufgehoben10 und gingen über in eine dauerhafte sozialstaatliche Interventionspolitik des verstärkten Mieterschutzes sowie Mietpreisegrenzen.11

Der Art. 155 Weimarer Reichsverfassung ab 191912

Der Stellenwert der Überführung der Prinzipien des Mieter*innenschutzes in eine ordnungspolitische Grundlage im Sinne der Integration in die Weimarer Reichsverfassung ist hervorzuheben.13 So wurde bereits 1919 das Ziel formuliert „[…] jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern.“Auch die Sozialbindung von Eigentum, die heute im Deutschen Grundgesetz unter Artikel 14(2) als „Eigentum verpflichtet“14verankert ist, findet hier das erste Mal Erwähnung. Diese in der Weimarer Republik angestoßenen Gesetzgebungsprozesse wirken bis in die heutige Verfassung und damit in die aktuelle Wohnungspolitik nach. Das Deutsche Grundgesetz kennt heute allerdings kein explizites Recht auf Wohnen diesbezüglich ist die Weimarer Reichsverfassung aus heutiger Perspektive als äußerst progressiv zu bewerten.15

Artikel 155.

Abs. 1 Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise überwacht, die Mißbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern. Kriegsteilnehmer sind bei dem zu schaffenden Heimstättenrecht besonders zu berücksichtigen.
Abs. 2 Grundbesitz, dessen Erwerb zur Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses, zur Forderung der Siedlung und Urbarmachung oder zur Hebung der Landwirtschaft nötig ist, kann enteignet werden. Die Fideikommisse sind aufzulösen.
Abs. 3 Die Bearbeitung und Ausnutzung des Bodens ist eine Pflicht des Grundbesitzers gegenüber der Gemeinschaft. Die Wertsteigerung des Bodens, die ohne eine Arbeits- oder eine Kapitalaufwendung auf das Grundstück entsteht, ist für die Gesamtheit nutzbar zu machen.
Abs. 4 Alle Bodenschätze und alle wirtschaftlich nutzbaren Naturkräfte stehen unter Aufsicht des Staates. Private Regale sind im Wege der Gesetzgebung auf den Staat zu überführen.

Von der Hauszinssteuer (1924–1930/31) über den Black Friday (1929) zum Ende der Weimarer Republik

In den frühen 1920er-Jahren entwickelte sich aufgrund der finanziellen Überbelastungen eine Hyperinflation durch Kriegsreparationszahlungen. Das staatliche Eingreifen und Regulieren führte in Kombination mit steigenden Baukosten und Ressourcenknappheit zu geringeren Profitaussichten, und damit insgesamt zu geringeren Anreizen für die Privatwirtschaft zur Beteiligung am Wohnungsbau. Die Inflationsspirale der Geldentwertung entfaltete ihre Wirkung und brachte private Investitionsströme in den Wohnungsbau zum Erliegen.16 Ein aktives staatliches Eingreifen auch auf der Ebene der Baufinanzierung und -förderung wurde unabdinglich.

Neben den beschriebenen Markt- bzw. Inflationsmechanismen, die zum Abebben der Investitionsströme führen, klingen die Bewertungsmuster und Argumentationslinien der Bauwirtschaft aus der heutigen Perspektive seltsam vertraut. Auch räumliche-gestalterische Faktoren spielen dabei eine Rolle: Die Erstellung von Klein- und Kleinstwohnungen wird von Bauunternehmern als wenig attraktiv bewertet, da mit Überbelegung und eventuellen Schwierigkeiten bei der Mieteintreibung zu rechnen ist. Hinzu kommen die höheren Erstellungskosten bzw. die geringere zu erwartende Gewinnmarge. Eine kompliziertere Grundrissgestaltung und die zusätzlichen für Flure, Treppenhäuser etc. vorzusehenden Flächen führen zu weniger vermietbarer Fläche. Größere Wohnungen zeichnen durch bessere Rentabilität und einfachere Handhabung aus.17

Erst mit der Währungsreform 1923 und der Neustrukturierung der Kriegsschulden nach dem Dawes-Plan 1924, der die Aufnahme von US-Krediten ermöglichte, kam es zu einer wirtschaftlichen Stabilisierung.18 Dennoch erholte sich der private Bausektor nicht. Zwei hauptsächliche Agenden wurden von hier an vorangetrieben, um der Wohnungsknappheit zu begegnen: Ein Weg zur Finanzierung der stattlichen Wohnungsbauprogramme musste gefunden werden, während gleichzeitig die Kosten von Wohnraum durch Typisierung, Rationalisierung und Reduzierung gesenkt werden sollten.19Als wichtiges Finanzierungswerkzeug erwies sich dabei die Hauszinssteuer, die eine umfassende Wohnungsbauförderungen erst finanziell ermöglichte, auch wenn die Steuer nur zur Hälfte für Bautätigkeiten eingesetzt wurden.20Die Hauszinssteuer, die sich auch als Geldentwertungsausgleichssteuer verstehen lässt, war eine Sondersteuer, die die Inflationsgewinne der Haus- und Grundbesitzer durch Entschuldung ausgleichen sollte.21 Durch die Geldentwertung wurden Bürger*innen ohne immobil(i)en Besitz enteignet, während Haus- und Grundbesitzer ebenso wie der Staat durch die gleichzeitige Schulden-Entwertung entschuldet wurden.22 Mit den Mitteln wurden die dringend nötigen umfassenden Neubautätigkeiten angestoßen, die in ihrer Programmatik und Formensprache natürlich auch die politischen Ideale der jeweiligen Akteur*innen widerspiegelten, wie es Günther Schulz herausarbeitet: „Beispielsweise errichtete die Linke vornehmlich Siedlungen des Neuen Bauens, mit den Merkmalen Einheitlichkeit, Gleichheit, Kubus und Flachdach; nationale und konservative Kräfte hingegen konzentrierten sich auf konventionelle Formen: architektonische Unterschiedlichkeit, Satteldach und Sprossenfenster.“23

Vom Beginn der Weimarer Republik an bis 1930 wurden zwischen 75–90% der Wohnungen in städtischen Ballungsräumen durch Mittel aus der öffentlichen Hand errichtet. Der Umverteilungsmechanismus durch die Hauszinssteuer und die Etablierung von gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften markiert damit die politische Abwendung von der privaten Wohnraumversorgung und die Etablierung einer Wohnraumversorgung mit gemeinnützig, kommunal und genossenschaftlich orientierten Akteuren.24 Die Bauten der öffentlich geförderten, gemeinnützigen oder genossenschaftlichen Bestrebungen bilden bis heute den Großteil des Wohnungsbestandes und damit die urbane Grundstruktur Deutschlands.25

In der Phase der wirtschaftlichen Depression ab 1929 brach die Bautätigkeit mit der einsetzenden Rezension ein und wurde wieder einer rigiden Sparpolitik unterworfen. Insgesamt sind die Wohnverhältnisse in Zeiten der Weimarer Republik nicht nur als knapp in jeglicher Hinsicht zu beschreiben, sondern trotz Verbesserungsbestrebungen katastrophal, besonders für die einkommensschwache Schicht. Neu gebaut wurde eher für kaufkräftige Schichten, Klein- und Kleinstwohnungen schenkte man erst Ende der 1920er-Jahre überhaupt Beachtung.26

In der Mietskaserne manifestiert sich das Ergebnis des Zusammenspiels aus zu wenig Bautätigkeit, marodem, weil durch den Krieg zerstörtem Bestand und gleichzeitig ausbleibender Instandhaltung und prägt noch heute unsere Vorstellung von inhumanen Wohnverhältnissen.27 Zwischen 1918 und 1935 fehlte es nach Schulz an 700.000 bis zu 1,5 Millionen Wohnungen28, während im jährlich durchschnittlich dieser Jahre nur ca. 177.000 Wohnungen neu errichtet werden konnten.29Gleichzeitig wurden ambitionierte Großsiedlungsprojekte vorangetrieben, neue Qualitäten etabliert und experimentiert. Wohnungsbau wurde zur politischen Agenda der Zeit. Der Faktor Mensch wurde Teil der Planungspraxis und es entwickelten sich neue fortschrittliche Leitbilder in der Architektur – wenn auch basierend auf und verschränkt mit vielen Stereotypen. Die Werte und Ideale aus Zeiten der Weimarer Republik – gegossen in formale Planungskriterien – begleiten Architekt*innen noch heute, wenn sie Planungshandbücher wie die Bauentwurfslehre nach Neufert in die Hand nehmen.30

Wohnungspolitik als Handlungsfeld: Wohnungsbau und Bauherren in Deutschland in der Hauszinssteueräre

Dass die Bautätigkeit der gemeinnützigen Bauvereinigungen auch zusammen mit der öffentlichen Hand die private Wohnungsproduktion nicht übertraf, liegt am private Kleinhausbau in in ländlichen Regionen. Im innerstädtischen Mietwohnungsbau mussten die privaten Unternehmer das Feld längst räumen: 1931 wurden drei Fünftel aller Neubauten in Großstädten im Auftrag von gemeinnützigen Wohnungsunternehmen durchgeführt.31

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Quellen

[1] Vgl. Zimmermann, 1991. S 122ff.
[2] Statistische Daten für das 19. Jahrhundert aus dem Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin, Berlin 1920; für 1920 aus Statistisches Landesamt Berlin, Berlin 1999/2000.
[3] Vgl. Haerendel, 1999. S 101
[4] Vgl. Zimmermann, 1991. S 123
[5] Vgl. Haerendel, 1999. S 101ff.
[6] Vgl. Schulz, 1993. S 15f., Berliner Mieterverein, 2017, sowie Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, 2021. 4ff.
[7] Entsprechend §556d BGB Die Mietpreisbremse gilt in Form von Begrenzung der Wiedervermietungsmieten seit 2015. Bei erneuter Vermietung darf maximal ein Preisaufschlag von 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete geschehen. Vgl. dazu Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, 2018.
[8] Vollmer, 2019. S 139 und Schulz, 2016.
[9] Vgl. Vollmer, 2019. S 138f., und Schulz, 1993. S 15ff.
[10] Vgl. Vollmer, 2019. S 138f.
[11] Schulz, 2016.
[12] Huber 1992. S 151 ff.
[13] Harlander, 2018. S 2955
[14] Der vollständige Art. 14 (2) GG lautet: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
[15] Vgl. Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, 2019. S 4
[16] Vgl. Schulz, 1993, S.154–155
[17] Vgl. Haerendel, 1999. 102
[18] Vgl. Schröteler-von Brandt, 2014. S 185.
[19] Schröteler-von Brandt, 2014. S 186
[20] Vgl. Stöhner, 1976. S. I, und Ibid. Die andere Hälfte der Steuer floss in den allgemeinen Staatshaushalt. Sowie Vgl. Harrlander, 2018. 2955 nach Ruck, Michael: Die öffentliche Wohnungsbaufinanzierung in der Weimarer Republik. In: Schildt, Axel/Sywottek, Arnold (Hrsg.): Massenwohnung und Eigenheim. Frankfurt, 1988. 150–200
[21] Vgl. Schulz, 2016.
[22] Schröteler-von Brandt, 2014. S 186
[23] Schulz, 2016.
[24] Vgl. Harrlander, 2018. 2955. nach Saldern, Aldelheid: Häuserleben. Zur Geschichte städtischen Arbeiterwohnens vom Kaiserreich bis heute. In: Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, Bonn 1995. 130. Ebenso: Schröteler-von Brandt, 2014. S 181f.
[25] Vgl. Schröteler-von Brandt, 2014. S 182.
[26] Vgl. Haerendel, 1999. S 115
[27] Vgl. Schulz, 2016.
[28] Vgl. Schulz, 1993, S.12. Da keine gesicherten statistischen Daten aus dieser Zeit vorliegen, beruhen alle Angaben auf ungefähren Schätzungen. Siehe dazu auch: Haerendel, 1999. S 193
[29] Vgl. Schulz, 1993. S 13
[30] Vgl. Meister, 2020. S 167ff.
[31] Vgl. Haerendel, 1999. S 114

11/03/2023

1.01 Der politische Rahmen der Weimarer Republik

 Alexander Kleins Leben zwischen 1920–1933 in Deutschland in der Übersicht

Alexander Kleins Arbeiten zu verstehen heißt gleichzeitig den Kontext seiner Arbeit zu durchdringen. Dabei ist nicht nur Kleins persönlicher Hintergrund gemeint, sondern auch die zeitgeschichtlichen Faktoren, die den Rahmen für das Entstehen der Kleinschen Methode im Wohnungsbau bilden. Insbesondere die kulturhistorische Betrachtung im Kontext der Zeitgeschichte ermöglicht es, die Methode einzuordnen und abseits der rein zeichnerischen, numerischen und wissenschaftlichen Anmutung zu verstehen. 

Alexander Iwanowitsch Klein wurde 1879 in Odessa geboren. Für das Architekturstudium ging er nach St. Petersburg und erhielt dort 1904 seinen Abschluss. Kurz darauf, im Jahr 1906, gewann er gemeinsam mit den Architekten Iljin und Rosenberg den Wettbewerb um einen großen Krankenhausbau mit 2000 Betten in St. Petersburg. Daraufhin folgte die Berufung als Stadtbaurat und Lehraufträge an der Technischen Hochschule der Stadt. 1917 übersiedelte Klein 1917 in den Kaukasus, um in Kislowodsk ein Stadterweiterungsprojekt zu planen. Die politisch aufgeladenen Zeiten nach der Oktoberrevolution zwangen Klein 1920 Russland zu verlassen.¹ Er emigriert nach Deutschland und ließ sich in Berlin nieder, um wenig später 1922 auch hier wieder seine praktische Bautätigkeit in Zeiten der Weimarer Republik aufzunehmen.²

Kleins russische Herkunft wird uns an späterer Stelle wieder begegnen. Sowohl sein dort ausgebildeter planerischer Zugang als auch die planerische Infrastruktur hatten einen Einfluss auf sein Denken und Arbeiten. Die Bedeutung dessen lässt sich auch an Kleins eigener publizistischer Aufarbeitung der Wettbewerbspraxis in Russland und seiner Herangehensweise im Grundriss ablesen, die er bereits in einem seiner ersten in Russland umgesetzten Projekte im Ansatz entwickelt ablesen.³

Alexander Kleins Herkunft

Die Weimarer Verfassung setzte nach der Niederlage der Deutschen im Rahmen des Ersten Weltkriegs den neuen Rahmen für die Entwicklung eines parlamentarisch-demokratischen Bundesstaats und damit für den Beginn der Weimarer Republik. Die von politischen Unruhen geprägte Zeit zwischen 1919–1933 brachte eine ganze Reihe an einschneidenden Veränderungen mit sich. Die Kriegsfolgen und Reparationszahlungen im Rahmen des Versailler Vertrages waren ebenso drastisch für die deutsche Wirtschaft wie die sich daraus entwickelnde Hyperinflation um 1923. Die Kosten der wirtschaftlichen Konsolidierung nach der Zuspitzung durch die Geldentwertung trugen schwerpunktmäßig Arbeiter*innen und der Mittelstand – Grund- und Hausbesitzer blieben weitgehend von Entwertungsprozessen verschont. Um die Wirtschaft zu stabilisieren, wurden soziale Errungenschaften wie der Achtstundentag, die direkt nach dem Krieg von der Arbeiterbewegung erkämpft wurden, wieder aufgeweicht oder vollends aufgegeben. Industrialisierungs- und Spezialisierungstendenzen entsprechend tayloristischer Ideen wurden vorangetrieben.4

Parallel dazu bahnten sich gesamtgesellschaftliche Wandlungsprozesse ihren Weg. Im Januar 1919 erhielten Frauen erstmals das in der Verfassung verbriefte Recht, an Parlamentswahlen teilzunehmen – sowohl als Wählerinnen als auch als Kandidatinnen.5 Fotografie, Radio und Kino verbreiten sich, wodurch Menschen aller Klassen und Schichten Zugang zu Informationen, Freizeitaktivitäten und neuen Konsummöglichkeiten erhielten. Die Massenkultur wirkte als Impuls für Demokratisierung und lockerte die starke Abgrenzung der im Kaiserreich vorherrschenden Klassenunterschiede. Der Historiker Heinrich August Winkler beschreibt die Entwicklung in der Weimarer Republik als „Klassengesellschaft im Übergang“.6 Die Goldenen Zwanziger Jahre – die auch heute wieder heraufbeschworen werden – sind vielmehr Ausdruck der Freiheit einer bestimmten Gesellschaftsschicht in Kunst und Kultur, als dass sie den Druck des sozialen Wandels sowie der politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen reflektierten.7

Die Verwerfungen der Weimarer Republik im zeitlichen Verlauf

Die Weltwirtschaftskrise, die im Oktober 1929 ihren Lauf nahm, erschütterte das instabile Gleichgewicht der Weimarer Republik erneut. Ausgelöst durch den dramatischen Kurssturz an der New Yorker Börse – noch heute als Black Friday ein prägender Ausdruck, der sich inzwischen in neue Bedeutungen hüllt – zogen sich US-amerikanische Anleger aus dem Auslandskreditgeschäft in Deutschland zurück. Das fehlende Kapital löste eine wirtschaftliche Negativspirale aus: Die Geldmittelknappheit führt zum fast vollständigen Einbruch von Investitionstätigkeiten, woraufhin die Produktion zurückgefahren und Massenentlassungen vorgenommen werden, die wiederum die Sozialsysteme der Weimarer Republik kulminieren lassen.8

Die große sozialpolitische Spannung, die die Weltwirtschaftskrise mit sich brachte, ließ 1930 die Große Koalition aus SPD, Zentrum, Deutsche Volkspartei DVP und Deutsche Demokratische Partei DDP zerbrechen. Heinrich Brüning, der im Auftrag des Reichskanzlers Hindenburg die Neubildung der Regierung übernahm, ordnete mithilfe von Notverordnungen eine strenge Deflationspolitik an, die auch Auswirkungen auf die Bautätigkeiten hatte. Seit 1931 durften keine öffentlichen Gebäude mehr errichtet werden – neben Steuererhöhungen und Kürzungen der Sozialausgaben sollte so die erneute finanzielle Konsolidierung erreicht werden.9 Dieser Plan ging nicht auf, die Situation spitzte sich weiter zu. Die Entwicklungen mündeten im Aufstieg der Nationalsozialisten – und mit der Machtergreifung Hitlers im Ende der Weimarer Republik.

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Quellen

[1] Vgl. Warhaftig, 1989. S 1042
[2] Vgl. Stöhner, 1976. S A 25f. und Baffa Rivolta/Rossari, 1975. 48f.
[3] Vgl. AK-1925_WMB-9-10 und AK-1928_Probleme des Bauens
[4] Vgl. Mommsen 1998, S 234.
[5] Vgl. Deutscher Bundestag, Online-Dienste 2019.
[6] Vgl. Winkler, 1998. S 296 f.
[7] Vgl. Longerich 1995, S 176 f.
[8] Vgl. Plumpe 2010, S 81; und Mommsen 1998, S 441.[9] Vgl. Büttner 2008, S 424.

10/03/2023

0.01 Gedanken zur Einführung

Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Dieses Zitat, das sich sowohl Olaf Scholz als auch Horst Seehofer zuordnen lässt, zeigt die Einigkeit des Parteienspektrums in Deutschland, die von der CDU/CSU über die SPD bis hin zu der Linken reicht.¹ Seit 2021 gibt es in Deutschland wieder ein eigens für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen zuständiges Ministerium, das derzeit von Klara Geywitz (SPD) geführt wird. Zu Beginn der Legislaturperiode 2021 wurde ein jährliches Wohnungsbauziel von 400.000 Wohnungen proklamiert, 100.000 davon Sozialwohnungen – hinter dem die Bauwirtschaft 2022 weit zurückblieb.² „Bauen, bauen, bauen!“ lautet also die Devise. Doch die verstärkte Bautätigkeit der vergangenen Jahre konnte die Wohnungsnot bisher nur geringfügig lindern: Mehr als 1,5 Millionen leistbare und angemessene Wohnungen fehlen in Deutschland. Fast die Hälfte der Haushalte in deutschen Großstädten, müssen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens aufwenden, um ihre Miete zu bezahlen.³

Gleichzeitig spitzt sich die Klimakrise zu, zu der die Bauwirtschaft im Jahr 2021 37% der weltweiten CO2-Emissionen beitrug. Die aktuellen Berichte des IPCC und die neuerlich erschienene Publikation des „Club of Rome“ unter dem Titel Earth for All machen deutlich, dass es große systemische Veränderungen braucht, um den komplexen, vernetzten Polykrisen⁴ unserer Zeit zu begegnen. Die Klimakrise ist auch eine Frage der globalen Gerechtigkeit⁵– und (die Produktion von) Wohnraum spielt eine Rolle in dieser Gleichung. Welche gesellschaftliche Vision von ökologisch, ökonomisch und sozial gerechtem Wohnen haben wir und wie können wir diese umsetzen, so dass mehr Menschen Zugang zu leistbarem, angemessenem Wohnraum haben?

Im Rahmen des Bündnisses bezahlbarer Wohnraum versucht die Bundesregierung dies Frage derzeit zu beantworten und setzt dabei vor allem auf Masse statt Klasse.⁶ Im akademischen und klimaaktivistischen Diskurs wird derweil das nicht mehr bauen diskutiert.⁷ Es fehlt eine elementare Perspektive zwischen diesen Polen: Ein realpolitischer Ansatz, der sich ernsthaft mit der Umsetzbarkeit von leistbarem, qualitativ hochwertigem Wohnraum auseinandersetzt und ihn als architektonisches Projekt versteht.

Die Krisen der Weimarer Republik

Auch vor knapp 100 Jahren sah man sich mit Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt konfrontiert – wenn auch anders gelagerten. In der Weimarer Republik war der Mangel an Wohnraum nach dem Ersten Weltkrieg verheerend. Hygienische Standards des Wohnungsbaus, die uns heute als selbstverständlich gelten, waren keine gängige Praxis. Die Menschen in den überbelegten Einzimmerwohnungen und Mietskasernen hausten viel eher, als dass sie wohnten, viele Menschen waren schlicht obdachlos.8

Im Artikel 155 der Weimarer Reichsverfassung wurde 1919 das Ziel formuliert, „jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern.“9 Im Rahmen dieser politischen Zielvorgaben dehnte sich die Architekturpraxis bis zum Ende 1920er-Jahre zwischen der Politisierung der Wohnungsfrage und der funktionalen Optimierung insbesondere durch Verkleinerung von verbilligtem Wohnraum auf.10

Der 1879 in Russland geborene und ausgebildete Architekt Alexander Klein, ist Teil der Architektenschaft, die sich zu dieser Zeit intensiv mit den räumlichen und politischen Problemstellungen des Wohnungsbaus in Deutschland auseinandersetzte. Klein wandte sich zwischen 1920–1933 in unterschiedlichen Positionen – als praktizierender Architekt, als Baurat in Berlin, als Mitglied der Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen (RFG) und im Rahmen seiner Forschung – dem Thema des Kleinstwohnungsbaus zu.

Klein entwickelt im Kontext der Weimarer Republik eigene Grundrisstypen und forscht parallel an Verfahren und methodischen Herangehensweisen, mit dem Ziel Grundrisse objektiv zu bewerten. Kleins Arbeit zeigt einen Weg der Verwissenschaftlichung und Systematisierung von Architekturpraxis zwischen Raumqualität und Wirtschaftlichkeit auf, auf den es sich zu blicken lohnt – auch heute noch. Sein Beitrag zur Bewertung und Entwicklung von Grundrissen ist sowohl methodisch als Werkzeug für entwerfende Architekt*innen11 von Relevanz als auch aus politischer Perspektive aktueller bau- und wohnungspolitischer Zwänge, wie Ressourcenknappheit und Leistbarkeit.Klein reflektiert seinen eigenen modus operandi der Entwurfspraxis mit Fokus auf die Grundrissentwicklung und leitet daraus zeichnerische und numerische Methoden ab, die einen direkten Qualitätsvergleich und die Verbesserung von Grundrisstypen ermöglichen sollen.12 Auf der Suche nach Objektivität entwickelt er

damit eine Grundlage zur Bewertung, Datenerhebung, Wissensgewinnung und -erweiterung und ist seiner Zeit damit voraus. Klein strebt mit seinem Ansatz selbst unter großen ökonomischen Restriktionen ab 1930 nach dem räumlichen Qualitätsmaximum, das die Nutzer*innen als Faktor mitdenkt. Wirtschaftlichkeit denkt Klein nicht im Sinne einer Profitmaximierung, sondern im Sinne einer realpolitischen Vision des Wohnens: Wie lassen sich auf wenig Raum, mit begrenzten Ressourcen möglichst viele gute Wohnungen für die unterschiedlichen Nutzer*innenbedürfnisse herstellen? Eine Frage die heute nicht an Aktualität verloren hat.

Relevanz heute

Natürlich lässt sich Kleins Methode nicht 1:1 in die Gegenwart übersetzen. Heute sehen sich Planer*innen konfrontiert mit einem Zusammenspiel aus der Klimakrise, dem seit den 60er Jahren durch die Neoliberalisierung anwachsenden Druck auf bzw. durch den Immobilienmarkt, und einer Vielzahl weiterer Parameter, die eine komplexe Grundlage für die Entscheidungsfindung im Architekturentwurf liefern. Doch die grundlegende Frage, wie eine realpolitische Lösung im Grundriss zwischen maximaler räumlicher Qualität, Leistbarkeit für die Nutzer*innen und wirtschaftlicher Produktion aussehen kann, besteht weiterhin.

Obwohl die Auseinandersetzung mit dem Grundriss seit jeher als eine zentrale Fähigkeit von Architekt*innen gilt, gibt es heute kaum oder nur wenige systematische Ansätze, die über Grundriss-Sammlungen oder die Standardisierung des menschlichen Körpers13 hinausgehen. Seien es die technologischen Fortschritte der 1960er-Jahre oder die Ansätze der algorithmischen Planungspraxis heute: abseits neuer Werkzeuge, die Planer*innen heute zur Verfügung stehen, hatten diese Entwicklungen nur geringe Auswirkungen auf eine Verwissenschaftlichung oder Wissensansammlung und Verwaltung der Architekturpraxis.

Die Auseinandersetzung mit Klein ist also ein Übersetzungsprozess, wie Kleins Arbeit heute einzuordnen und neu zu lesen ist. Seinen Spuren zu folgen, heißt für mich daher auch, mich mit den Wissensstrukturen der Architekturpraxis als solche auseinanderzusetzen. Welche Faktoren lassen sich überhaupt messen, wissenschaftlich erfassen und nach qualitativen Kriterien ordnen und (wieder)anwenden?

Damit ist dieses Forschungsprojekt ein Versuch, den Mythos des kreativen Genies zu entzaubern, der mit seinem weißen Blatt Papier immer wieder bei Null beginnt und auf den Kuss der Muse wartet. Sich nicht mit der Leerstelle der Grundrisswissenschaften auseinanderzusetzen, heißt, anderen Akteur*innen dieses Feld zu überlassen. Wenn Architekt*innen ihre Relevanz für die Planung nachhaltigen, leistbaren Wohnraums zurückgewinnen wollen, muss der Faktor der Wirtschaftlichkeit (wie ihn Klein versteht) zurück in die Gleichung: Wie beurteilen wir räumliche Qualität heute nach objektiven Kriterien? Die Leerstelle der wissenschaftlichen Betrachtung in der Architektur, die Gestalter*innen bewusst haben entstehen lassen, kann zum Ansatzpunkt für Wandel werden.

Um diese große Vision und die Fragen dahinter nach einer zeitgenössischen Neuausrichtung der Architekturpraxis und Methodik ins Auge zu fassen, ist die detaillierte Auseinandersetzung mit Kleins Arbeit der erste Schritt. Wie genau die Methode funktioniert und wie seine Arbeit in die Herausforderungen seiner Zeit eingebettet war, ist die zentrale Frage, die im Folgenden geklärt werden soll.

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Quellen

[1] Vgl. dazu BMI, 2020 und SPD, 2022.
[2] 2021 wurden rund 293.000 Wohnungen neu gebaut, 4,2 % weniger als noch im Jahr zuvor. Insgesamt litt die Bauwirtschaft ab 2020 an unterbrochenen Lieferketten aufgrund der Coronapandemie, äußerst volatilen Baustoffpreisen, dem Fachkräftemangel in Deutschland, sowie einem Genehmigungsstau in der Verwaltung. Durch die Anhebung der Leitzinsen und die damit einhergehenden Anhebung der Bauzinsen im Jahr 2022 ist davon auszugehen, dass die Bauwirtschaft 2022–2023 schrumpft. Die Zahlenreihen des statistischen Bundesamts zeigen selbst in den wirtschaftlich stabilen Jahren 2014–2020 nur einen moderaten Anstieg von 245.000 auf 306.000 fertiggestellter Wohnungen. Vgl. dazu Statistisches Bundesamt (Destatis), 2022
[3] Holm/et al., 2021. S 9 f.
[4] Der Begriff der Polycrisis (Polykrise) wird im aktuellen Diskurs vom Wirtschaftshistoriker Adam Tooze geprägt. Tooze griff die Bezeichnung von Jean-Claude Juncker auf, der diese im Kontext des Jahres 2014 verwendet: Russlands erster Invasion in der Ukraine, durch den Syrischen Bürgerkrieg ausgelöste Fluchtbewegungen nach Europa, die Staatsschuldenkrise in Griechenland, Brexit, und die Wahl von Donald Trump zum US-amerikanischen Präsidenten fallen zusammen. Juncker nimmt die Idee der Polykrise wiederum bei Edgar Morin auf, einem französischen Komplexitätstheoretiker. Die Bauwirtschaft ist auf mehreren Ebenen betroffen (siehe dazu auch Fußnote 1): Gebrochene Lieferketten, Leitzinsanhebung, etc.
[5] Dixson-Declève/et al., 2022. S 101 ff.
[6] Unter dem Ziel der 400.000 Wohnungen werden im Maßnahmenpapiers vom 12.10.2022 klimagerechter und ressourcenschonender Wohnungsbau, Nachhaltige Bodenpolitik, Begrenzung von Baukosten und die Prozessbeschleunigung von der Planung bis zur Realisierung als Schwerpunkte formuliert. Qualität wird diametral gegenüber der Bezahlbarkeit von Wohnraum als Aspekt in einer Kosten-Nutzen-Abwägung betrachtet. Zum genaueren Verständnis von architektonischer Qualität findest sich keinerlei Hinweis. Vgl. BMWSB, 2022. S 16
[7] Bspw. im Rahmen von A Global Moratorium on New Construction, eine Initiative von Charlotte Malterre-Barthes in Kollaboration mit Brandlhuber+ oder in der Streitschrift von Daniel Fuhrhop Verbietet Das Bauen! –  Eine Streitschrift. Oekom, München 2015.
[8] Statistische Daten sind für diesen Zeitraum nicht zuverlässig vorhanden. Wolfgang John schätzt, dass 1930 ca. eine halbe Million Menschen (0,7% der Bevölkerung) keine eigene Unterkunft hatte. John, 1988, S 279
[9] Huber 1992. S 151 ff., sowie Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, 2020. S 4
[10] Kuchenbuch, 2010. S. 97
[11] Im Rahmen der Arbeit wird gegendert, soweit dies ohne historische Verfälschung möglich ist. Die (Re-)Konstruktion einer Realität, die es in dieser Form der weiblichen Präsenz nicht gab, soll damit vermieden werden. Da sich ein großer Teil der Arbeit auf die 1920–1930er-Jahre bezieht ist die Schreibweise entsprechend nicht stringent, sondern so gewählt, dass die gesellschaftliche Realität situationsspezifisch möglichst unverfälscht abgebildet wird.
[12] Vgl. AK-1927_WMB-11-7, S. 296, 298.[13] Die Grundlagen für die Bauentwurfslehre nach Neufert – eine Publikation, die noch heute eines der Standardwerke an Architekturhochschulen ist – entwickelte sich in den 1920er Jahren (vgl. dazu Meister, 2020. S 167). Auch Neufert publiziert in WMB und ist mit Kleins Arbeit vertraut. Er schreibt 1931: „Hier ist durch die Methode Klein die Grundlage geschaffen für eine wissenschaftliche Bauprüfung, die ungeahnte Möglichkeiten eröffnet und eine wichtige Epoche darstellt auf dem Wege zu wirklicher Sachlichkeit.“ Neufert, 1931. S. 32

02/03/2023

Abstract EN: Alexander Klein- A New Housing Standard

Housing as a social issue has occupied architects with varying degrees of urgency since the Weimar Republic. After the First World War, architects tried to provide solution to the acute housing shortage through novel approaches. New standards in the understanding of society, construction and design led to paradigms such as “Licht, Luft und Sonne” (light, air and sun), the “Existenzminimum” (minimum dwelling) and the “Klein(st)wohnung” (smallest possible flat). In the shadow of architects such as Walter Gropius, Bruno Taut and Le Corbusier, who are still an important part of the architectural canon today, Alexander Klein developed new methodological approaches to the housing question between 1920–1933 that are known only to few experts today.

Klein’s remarkably innovative design methodology, which combines aspects of the economy, hygiene, ease of use and comfort, is based on an analysis of the economic-legislative premises of housing production in the Weimar Republic. He developed the Raumgruppengrundriss (space-group floor plan) as an alternative to the central corridor-based floor plan. He further developed his findings regarding the organization and area optimization of floor plans into graphic analysis tools. He methodized this approach as Graphisches Verfahren (Graphical Method) in the context of comparing different types of floor plans to determine objective parameters for evaluating design qualities. Klein investigated the problem of housing in its complexity, paying particular attention to the effects of housing conditions on the human psyche and physique based on a Taylorist point of view.

Klein expanded his research work as a member of the Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen RFG (Reich Research Society for Economic Efficiency in Construction and Housing) and also put his knowledge to practical use in built projects. Klein thus shows a path of scientification and systematisation of architectural practice between spatial quality and economic efficiency that is worth looking at – even today. His contribution to the evaluation and development of floor plans is relevant both methodologically as a tool for architects and from the political perspective of current building and housing policy constraints, such as scarcity of resources and affordability. Klein doesn’t consider economic efficiency in terms of profit maximization, but formulates a realpolitical vision of housing: how to produce as many good flats as possible for a variety of users’ needs with limited resources? This paper lays the foundation for an update and reinterpretation of Klein’s approaches: A New Housing Standard.

02/03/2023

Abstract DE: Alexander Klein- Neuer Standard im Wohnungsbau

Alexander Klein—Neuer Standard im Wohnungsbau

Wohnraum als soziale Frage beschäftigt Architekt*innen seit der Weimarer Republik in unterschiedlicher Dringlichkeit. Nach dem Ersten Weltkrieg sollten neue architektonische Ansätze zur Lösung der akuten Wohnungsnot sorgen. Neue Standards im Verständnis von Gesellschaft, Konstruktion und Gestaltung führten zu Paradigmen wie „Licht, Luft und Sonne“, dem „Existenzminimum“ und der „Klein(st)wohnung“. Im Schatten von Architekten wie Walter Gropius, Bruno Taut und Le Corbusier, die noch heute wichtiger Teil des Architekturkanons sind, entwickelte Alexander Klein zwischen 1920–1933 neue methodische Ansätze zur Lösung der Wohnungsfrage, die heute nur wenigen Expert*innen bekannt sind.

Kleins bemerkenswert innovative Entwurfsmethodik, die die Aspekte Wirtschaftlichkeit, Hygiene, Einfache Nutzung, Behaglichkeit zusammenführt, gründet in der Analyse der ökonomisch-legislativen Grundprämissen des Wohnungsbaus der Weimarer Republik. Er entwickelt den Raumgruppengrundriss als Alternative zum Zentralflurgrundriss und leitete daraus Erkenntnisse hinsichtlich Organisation und Flächenoptimierung von Grundrissen ab, die er in zeichnerische Analysewerkzeuge übersetzte. Dieses Vorgehen methodisierte er als Graphisches Verfahrens im Rahmen des Vergleichs verschiedener Grundrisstypen, um objektive Parameter für die Bewertung von Entwurfsqualitäten zu ermitteln. Klein untersuchte das Problem des Wohnens in seiner Komplexität und berücksichtigte dabei besonders die Auswirkungen der Wohnbedingungen auf die menschliche Psyche und Physis unter tayloristischen Gesichtspunkten.

Seine Forschungsarbeit baute Klein als Mitglied der Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen (RFG) aus und brachte sein Wissen auch praktisch in gebauten Projekten zum Einsatz. Klein zeigt damit einen Weg der Verwissenschaftlichung und Systematisierung von Architekturpraxis zwischen Raumqualität und Wirtschaftlichkeit auf, auf den es sich zu blicken lohnt – auch heute noch. Sein Beitrag zur Bewertung und Entwicklung von Grundrissen ist sowohl methodisch als Werkzeug für entwerfende Architekt*innen von Relevanz als auch aus politischer Perspektive aktueller bau- und wohnungspolitischer Zwänge, wie Ressourcenknappheit und Leistbarkeit. Wirtschaftlichkeit denkt Klein nicht im Sinne einer Profitmaximierung, sondern im Sinne einer realpolitischen Vision des Wohnens: Wie lassen sich auf wenig Raum, mit begrenzten Ressourcen möglichst viele gute Wohnungen für die unterschiedlichen Nutzer*innenbedürfnisse herstellen? Die vorliegende Arbeit legt den Grundstein für eine Aktualisierung und Neuinterpretation der Kleinschen Ansätze eines neuen Standard im Wohnungsbau.

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